Die Containerfrau
dieser Kneipe, der Unikneipe. Literaturabend mit Musik, neue Studiendarlehen, billiges Bier und Semesteranfang. Er stößt fast seinen Stuhl um, als er aufspringt sie am Arm packt, als sie schon wieder gehen will. Er zeigt auf seinen Tisch, er hat einen freien Stuhl. Will nicht sehen, dass sie den Kopf schüttelt, schiebt sie einfach vor sich her. Das Stimmengewirr ist so laut, dass er nur auf seine Cappuccino-Tasse zeigt und durch seine Mimik fragt, ob sie auch einen möchte. Ein rascher, forschender Blick, und sie nickt. Der »Jäger« bahnt sich einen Weg zum Tresen. Dieser Abend fängt immerhin gut an.
17
Sie war nicht richtig an diesem Ort, sie war hier einwandfrei nicht richtig. Das hier hatte sie nicht gesucht. Aber sie wusste im Grunde auch nicht, was sie suchte. Das hier aber auf keinen Fall. Egal, jetzt ist sie eine in der Menge, anonym, unter Gleichaltrigen. Obwohl die drei Mädchen sie abgewiesen hatten, ihr Lächeln erwidert, sie ansonsten aber abgewiesen hatten. Sie lässt sich auf ihrem Stuhl zurücksinken, dankt durch ein Nicken für den Kaffee, der vor sie hingestellt wird. Seltsamer Mann, er passt irgendwie nicht in diese Szene. Schräg gegenüber sitzen die drei Mädchen, an die sie sich angehängt hatte, denen sie gefolgt war. Hierher. Sie haben Biergläser vor sich stehen, diskutieren lebhaft, schauen sich um und grüßen in alle Richtungen. Sie trinkt einen Schluck Kaffee, der schmeckt süß.
Gut. Über die Tasse hinweg betrachtet sie den Mann, der ihr den Stuhl angeboten hat. Er hat etwas Intensives, etwas Unruhiges, etwas … Er sieht nicht ganz gesund aus. Sein Körper ist zwar gesund und durchtrainiert, aber etwas stimmt nicht mit seinem Blick, seinen Bewegungen. Und dann redet er, redet wie ein Wasserfall. Sie versteht kein Wort. Aber er soll ruhig reden. Auf irgendeine Weise fühlt sie sich hier sicher. Am Ende stellt er eine direkte Frage. Sie schüttelt den Kopf. Versteht nichts. Er beugt sich ganz weit zu ihr vor und sagt etwas, ihr geht auf, dass es Englisch ist, dass er wissen will, woher sie kommt.
»Polish«, antwortet sie. Er schnippt mit den Fingern, sagt »aha« und verbreitet sich dann ausgiebig auf Englisch darüber, dass er schon einmal in Polen war. Namen von Städten werden aufgezählt. Sie einigen sich darüber, dass sie aus Danzig stammt. Dann wechselt er offenbar das Thema.
»Do you understand?«, fragt er immer wieder. Sie nickt. Sie versteht so gut wie nichts, erfasst nur Bruchstücke seines Vortrags. Es geht offenbar um »hunt«. Er ist Jäger, jagt, ist im Wald unterwegs, hat ein Gewehr und schießt und denkt. Dann erzählt er ihr von seinen Gedanken. Sie nickt ab und zu, lässt ihre Tasse noch einmal mit süßem Kaffee füllen. Merkt, dass sie jetzt müde wird. Er ist nicht müde. Er redet wie ein Wasserfall, gestikuliert und zeigt ihr allerlei seltsame Dinge, mit den Händen. Plötzlich erstarrt sie. Diese Bewegung kennt sie, das ist ein Ladegriff. Vor ihr sitzt ein Mensch, der zielt, den Finger um den Abzug krümmt und drückt, abdrückt.
»Peng«, sagt er mit glücklichem Gesicht. Und legt dann die Arme ruhig auf die Tischplatte.
»So you come?«, hört sie. »I pick you up in ten minutes.«
Das Letzte begreift sie nun gar nicht. Sie sieht nur, dass er seine Jacke schnappt, seine Tarnjacke, und aus dem Lokal rennt. Er verabschiedet sich nicht einmal. Sie atmet auf. Verrückte Mannsbilder gibt es also nicht nur bei ihr zu Hause. Aber dieser hier war doch nett, lud sie zum Kaffee ein und verschwand danach ganz einfach. Sie schaut sich um, trinkt den Rest des süßen Kaffees und betrachtet ihre Umgebung. Irgendwer baut auf einer Bühne etwas auf, ein Mann testet die Lautsprecher, »one, two, one two.« Die Anlage knackt. Er macht noch einen Versuch. Dann sieht sie aus dem Augenwinkel heraus, dass die drei Frauen, mit denen sie zusammen gekommen ist, sie betrachten. Sie stecken die Köpfe zusammen und tuscheln und flüstern und schielen zu ihr herüber. Sie fühlt sich unbehaglich, Zeit, zu verschwinden. Zu verduften. Den Hafen zu finden, Schiffe, die von Oslo weiter nach Hause fahren. Irgendein Schiff zu finden, das sie nach Hause bringt. In ein Rettungsboot schlüpfen, sich eine Plane über den Kopf ziehen und die Notration verzehren. Alle Schiffe und Boote haben doch Notrationen. Und wenn sie entdeckt wird, wird der Kapitän sie sicher nicht über Bord werfen. Sie will nach Hause, nach Hause, zu einer Sprache, die sie versteht, und zu Menschen, die … ihr
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