Die Containerfrau
Stein. Sie fröstelt.
»Take this«, sagt er und wirft ihr den einen Schlafsack zu. Sie hat keine große Wahl. Müde und satt und am ganzen Leib wie gerädert rollt sie sich auf der Pritsche zusammen, zieht den Schlafsack über sich und will sich nur für einen Moment ausruhen. Will nicht schlafen, will wirklich nicht schlafen, dann wird sie tot oder vergewaltigt oder in Stücke zerlegt sein, wenn sie erwacht. Sie will einfach auf der Pritsche liegen und ihn im Auge behalten, will nur für einen Moment das eine Auge zumachen.
Tief im Schlaf spürt sie, dass jemand eine Decke über sie breitet. Die riecht ein wenig nach Schimmel.
21
Sie erwacht in aller Frühe und ist nass. Nass im Schritt, an den Oberschenkeln, an den Hüften. Sie stöhnt, befreit sich von Schlafsack und Decke, sieht auf der anderen Pritsche einen Rücken liegen. Schwaches weißes Licht sickert durch ein Fensterchen. Sie kommt mühsam auf die Beine, geht zur Tür, öffnet sie langsam. Und schlüpft hindurch. Triefnass. Sie reißt die Leggings nach unten, setzt sich hin, lässt alles strömen. Und erst danach sieht sie sich um. Schaut gegen eine Felswand. Eine schmale Klamm führt hinauf in die Welt, die aus einem hohen Himmel besteht. Einem knallblauen, eisblauen hohen Himmel. Unter dem Himmel gibt es Wald, grünen Tannenwald mit einigen roten und gelben Farbtupfern. Und darunter liegt ein See. Oder ist das ein Spiegel? Ohne jegliche Kräuselung des Wassers liegt er da, umkränzt von gelbem Moor. Über dem Moor schwebt Nebel, leichter, hauchzarter Nebel. Er ist in Bewegung. Und kein Geräusch ist zu hören. Nur das Sickern von etwas Feuchtem über einem Stein. Gibt es in diesem Wald keine Tiere? Keine Vögel? Nichts, was lebt? Er hat sie allein schlafen lassen. Warum? Er hat sie nicht vergewaltigt. Warum? Sie stolpert wieder in die Kate, sieht, dass er noch immer bewegungslos daliegt und ihr den Rücken kehrt. Aber er ist wach, sie ist sicher, dass er wach ist. Sie zieht ihren Pullover weit nach unten, streift die nassen Leggings ab, schnappt sich die Tarnhose, die sie vorher nicht anziehen wollte. Jetzt dann ist sie angezogen, ist bedeckt.
»Slept well?«, hört sie, als er sich umdreht. Mit schmalen Augen und einem breiten Grinsen. Kaum hat sie genickt, da ist der Mann auch schon auf den Beinen und macht tausend Dinge zugleich. Macht Feuer, setzt Kaffee auf, geht draußen pissen, schmiert Brote und holte seine Waffe. Macht sich daran zu schaffen und redet dabei die ganze Zeit. Diese Waffe macht ihr eine Gänsehaut. Wie auch sein ganzes Gerede. Worüber redet er denn bloß? Die Augen glühen, der Mund bewegt sich unaufhörlich. Dann winkt er sie zu sich, will ihr etwas zeigen. Winkt ungeduldig. Zögernd setzt sie sich neben ihn, sieht eine Waffe, die vor ihr auf dem Tisch liegt, poliertes Mahagoni, sieht diverse Schaubilder mit allerlei Vögeln. Und Wild. Sie kennt keins dieser Tiere. Vielleicht den Vogel ganz unten in der linken Ecke, so einen hat sie schon mal gesehen.
Er will ihr den Gebrauch der Waffe erklären. Endlich begreift sie, dass er ihr den Gebrauch der Waffe erklären will. Will ihr Gelände und Schlupfwinkel und Windrichtungen und die Kunst des Anschleichens erklären. Ihr Ladegriff, Sichern, Entsichern beibringen, ihr die Bewegungen der Vögel klarmachen. Das glaubt sie jedenfalls. Dann drückt er ihr die Waffe in die Hand, besteht darauf, dass sie sie auseinandernimmt, wieder zusammenbaut, sich zum Schießen hinlegt. Er demonstriert ihr das Schießen im Liegen und im Stehen, springt auf und ab, legt sich über den Tisch, zielt durch das Fensterchen, zielt, zielt. Sie will nicht. Will nicht, verdammt noch mal. Er schmunzelt nur und fängt von vorne an. Drückt ihr das Gewehr noch einmal in die Hand.
»You try«, sagt er. »Come on.« Sie sagt ihm in ihrer eigenen Sprache, dass Waffen sie nicht so faszinieren wie ihn, sie findet die Vorstellung, Vögel oder was auch immer abzuschießen, einfach grauenhaft. Sie weigert sich. Aber er lässt nicht locker. Er ist starrköpfig, er hat eine Schülerin gefunden. Er gibt nicht nach.
Drückt sich auf den Tisch, drückt ihr das Gewehr an die Schulter, sagt, sie solle zielen. Auf die Türöffnung zielen. Die Waffe ist schwer. Aber sie zielt. Zielt durch die offene Tür auf den blitzblauen Tag draußen und gehorcht. Er sagt, sie solle abdrücken. Und wenn jetzt jemand kommt, denkt sie, will er sie zur Mörderin machen? Und drückt ab. Wird vom Rückstoß rückwärts geschleudert und
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