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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
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das durchgebrochene Gewehr, das auf und ab wippt, richtet ihren Blick darauf. Und lässt ihn dort ruhen.
     
    Sie sind seit Stunden unterwegs, seit Tagen, seit Monaten. Sind schon so lange unterwegs, dass das Tageslicht ganz verschwunden und die Welt undurchdringlich schwarz geworden ist. Gehen und stolpern. Stolpern und gehen. Immer im Kreis. Gehen tiefer in etwas hinein, aus dem sie nie wieder herausfinden wird. Sie klammert sich an dem Rucksack vor ihr an.
    Plötzlich bleibt er stehen. Bleibt stehen, dreht sich um und sagt:
    »Here we are.« Und dann macht er Licht, schaltet eine Taschenlampe ein. Lässt den Lichtstrahl über Steine, Steine und noch mehr Steine fegen. Sie befinden sich in einer gewaltigen Geröllhalde.
    »Here we are«, sagt er noch einmal und lässt den Lichtstrahl über mit Moos und Flechten bewachsene Steine fegen. Und zwischen allen Steinen und allem Moos öffnet er eine Tür, eine mit Moos bedeckte Tür, die weich ist wie Sackleinen. Sie glotzt.
    Starrt. Denn im Lichtkegel sieht sie einen Raum, sieht eine große Feuerstelle, Pritschen, sieht einen Tisch.
    »Come«, sagt er und stößt sie hinein.
    Während sie ihre unbrauchbare Waffe umklammert, sieht sie einen Mann Feuer machen, sieht einen Mann ins Feuer pusten, sieht ein Feuer, das aufflammt und das seltsame Zimmer erleuchtet, in dem sie sitzt.
    Das muss eine Höhle sein, eine Grotte oder sonst etwas Unterirdisches.
    »Kate«, hört sie. »Wir nennen das Kate.« Sie lächelt schwach.
    »Nobody ever finds it.« Ihr schaudert.
    »It is hidden in the ›Geröllhalde‹.« Sie nickt noch einmal, soll der Mann doch seine unbegreifliche Sprache sprechen. Sie selber umklammert krampfhaft das, was fehlt, was nicht in der Pistole war, was in der Plastiktüte in ihrer Jackentasche steckt. Die Kugeln. Die sie ins Magazin der Waffe schieben muss, um schießen zu können. »Sit down«, sagt er. Sie setzt sich an die Kante einer grob zurechtgehauenen Bank vor der Wand. Es riecht nach Mann und nach etwas Harschem. Es riecht nach Rauch von der Feuerstelle, und nach einer Weile riecht es nach Kaffee. Er drückt ihr einen Becher in die Hand, der Becher ist glühend heiß. Die ganze Zeit ist er beschäftigt, öffnet zwei Bündel, schüttelt sie, zwei Schlafsäcke, stellt sein Gewehr in eine Ecke und fängt an, einen Tisch zu decken. Mit seinem Fahrtenmesser schmiert er Brote, packt eine schwarze Wurst aus. Ihr läuft das Wasser im Munde zusammen, jetzt merkt sie erst, wie groß ihr Hunger ist. Die Kerze wirft ihr flackerndes Licht durch das Zimmer, der Tisch liegt im Licht, sie wagt nicht, in die Ecke zu schauen. Der Raum scheint in einer Steinlandschaft mit Höhlen, Gängen und seltsamen Schatten zu verschwinden.
    »Help yourself.« Er nickt zum Tisch hinüber. Sie muss nicht genötigt werden, sie macht sich schon über das zweite Brot her, noch ehe sie das erste verzehrt hat. Er lächelt sie an.
    »Hungry?«, fragt er. Sie nickt. Isst weiter. Gierig nach frischem Brot und Butter und Wurst. Und glühend heißem Kaffee. Sie betrachtet ihn aus dem Augenwinkel heraus. Er sieht wirklich seltsam aus, wie auf dem Sprung zu irgendetwas, als sei sein Körper mit soviel Energie gefüllt, dass er bersten könnte wie die Sprungfeder einer Matratze.
    »Let me see«, sagt er plötzlich und streckt die Hand aus. Sie schüttelt den Kopf, weicht zurück. Er zuckt nur mit den Schultern und räumt den Tisch ab. Dann zieht er einen verbeulten Flachmann hervor, füllt den Verschluss, trinkt, füllt ihn noch einmal und reicht ihn ihr. Sie schüttelt noch einmal den Kopf. Er kippt den Schnaps und dreht den Verschluss wieder fest. Offenbar will er sich also doch nicht betrinken.
    »Medicine«, sagt er und rülpst. Das hört sie nicht zum ersten Mal, sie hat oft gehört, dass der viele Wodka, der den Menschen die Vernunft nimmt, im Grunde »Medizin« sein soll. Medizin, um die traurige Welt zu vergessen. Sie begreift nicht, wieso er solche »Medizin« braucht. Reicher Mann in einem reichen Land mit Freiheit und großem Auto. Teure Kleidung, genug zu Essen, Gewehr. Das hat er in eine Ecke gestellt, dort, wo er den einen Schlafsack ausgebreitet hat. Sie muss eigentlich aufs Klo. Aber sie traut sich nicht, kann die Vorstellung nicht ertragen, sich zwischen riesigen Steinen und hohen Bäumen zu entblößen. Geräusche zu hören, wie sie sie noch nie gehört hat.
    Die Hitze des Feuers macht sie schläfrig, ihr ist vorn warm und hinten kalt. Kein Wunder, hinten lehnt sie ja an einem

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