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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
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hat noch nie gern von Frauen Befehle entgegengenommen. Sie fahren zur angegebenen Adresse, die nicht weit von der Alten Stadtbrücke entfernt liegt. Ein steinernes vierstöckiges Haus, mit Aussicht über die ganze Stadt. Sie schellen. Keine Reaktion. Sie schellen noch einmal. Alles tot. In seiner Wohnung brennt nur wenig Licht. Und vor dem Haus steht kein Wagen mit Allradantrieb. Sie setzen sich ins Auto und warten. Die Nacht ist noch jung.
     
    Sie ruft bei der Wache an, erzählt, »was bisher geschah«, und lässt sich ihren Vorschlag bestätigen.
    Danach bittet sie Vang, sich die restlichen Lokale in der Kjøpmannsgata vorzunehmen, während sie im Auto sitzen bleibt, und er sagt nicht nein. Vang wartet nicht gern. Vang mag Bewegung, mag »Äkschn«. Warten ist nicht seine Stärke.
    Anne-kin schiebt den Sitz zurück, versucht die Beine auszustrecken, lässt sich zurücksinken und hat den ganzen Himmel und die Häuser und den Bürgersteig mit den Rosenbüschen vor den Mauern unter Kontrolle. Unter Blick-Kontrolle. Die Wohnungen hinter den hohen Fenstern im Erdgeschoss und im ersten und zweiten Stock kommen ihr gemütlich vor. Den dritten Stock sieht sie nicht, dort liegt eine Dachwohnung. Der »Jäger« wohnt im ersten Stock. Im Keller scheint ein Musikfreak zu hausen. Vielleicht ein Student. Keine Vorhänge, keine Topfblumen, kein gar nichts. Nur weiße Wände mit Jimi-Hendrix-Plakaten, Dylan und Himmel! Ist das Tina Turner? Vielseitigen Geschmack hat der Knabe, der auf dem Boden sitzt und vor sich hintrommelt. Sein Kopf bewegt sich auf und ab, seine Hände ebenso. Große Trommeln, kleine Trommeln, harte Schläge, weiche Schläge. Anne-kin starrt ihn fasziniert an. Dann reißt sie sich zusammen und hält Ausschau nach einem Auto, das hoffentlich bald angefahren kommt. Einem Jeep Cherokee 1995. Dieser Information folgte ein Pfeifen. Echte Statuskarre für fesche Jungs mit Jagd als Lebensinhalt. Kein Jeep Cherokee kommt. Kein »Jäger«. Nur ein hoch gewachsener gut aussehender dunkler Typ mit Pferdeschwanz und einem gewaltigen Neufundländer. Der Hund hebt das Hinterbein und schießt einen langen Strahl gegen einen Laternenpfahl ab. Markiert aufs Heftigste. Anne-kin grinst. Am Ende kommt Vang. Er ist sauer. Anne-kin Halvorsen will den Grund gar nicht wissen, bringt es nicht über sich, ihm zu erzählen, dass er als Spitzel im Grunde total ungeeignet ist, mit seinem Schnurrbart, der schreit doch schon auf weite Entfernung »Bulle«. Solche Schnurrbarte sind ja nett in lustiger Runde, aber davon kann im Moment wohl kaum die Rede sein. Aber ein frisch rasierter Vang? Ein gerupfter Truthahn? Diesen Gedanken lässt sie sofort fallen.
    Sie werden von einem neuen Team abgelöst und fahren in ihre Wohnungen und warten dort. Für Anne-kin bedeutet das, dass sie das Telefon mit unter die Dusche nimmt und die Anlage im Wohnzimmer ausgeschaltet lässt. Kein einziger Blueston ist aus ihrem verdunkelten Heim zu hören. Sie setzt sich einfach aufs Sofa, zieht die Beine an, hat Kissen hinter Rücken und Kopf und betrachtet schläfrig die Welt im Laternenlicht vor ihrem Fenster. Nickt ein. Sieht ein Lichtspiel, ein Windschattenspiel im Septemberlaub und in den Baumwipfeln, das ihr Wohnzimmer in einen Zauberwald verwandelt, einen wogenden, tanzenden Zauberwald. Fast, als habe sie Gäste bekommen. Als hielten die unterirdischen Geister und Feen, die Wichtel und Schwanenfrauen ihrer Kindheit in ihrer guten Stube ein übermütiges, lautloses Gelage ab. Sie machen ihr keine Angst, sie lebt mit ihnen, seit sie ein Kind war. Sie kommen ihr fast vor wie Verwandte.
    Mit einem zischenden Schnarchen aus engen Nebenhöhlen schläft Kommissarin Halvorsen dann ein.

20
    Es sticht. Es schlägt. Es schreit. Tote Menschen und wilde Vögel schreien. Tannennadeln und Spinnen stechen. Zweige peitschen und zerkratzen ihr Gesicht, Lippen, Wange. Und überall liegen Schlangen auf der Lauer, hinter jeder Wurzel, hinter jedem Baum liegt giftiges Gewürm, und Zweige bewegen sich, wenn sie weiter stolpert. Dünne Fäden im Gesicht, etwas Dünnes, Seltsames im Gesicht. Und dann ist es so still, so dunkel, so finster, so grausam still und finster und dunkel.
    Sie spricht kein Gebet, sie weiß kein Gebet, sie kennt nur das Wort der Königin: Überleben! Sie ruft ihn, fleht ihn an, zu warten. Er wartet. Sie hält sich an seinem Rucksack fest, lässt ihn nicht los, geht dicht, dicht wie ein Schatten hinter ihm her, wird zu seinem Schatten. Richtet ihren Blick auf

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