Die Containerfrau
Stock höher öffnet er eine Luke und landet auf Live Sagens Küchenfußboden. Ein Wandteppich, hinter dem die Luke versteckt war, landet neben ihm. Und der Mann ist durchaus nicht verrußt. Er ist nicht durch den Schornstein gestiegen. Sondern durch einen alten Fahrstuhlschacht mit eingemauerten Eisenstangen. Als Fluchtweg. Im Namen der Sicherheit.
»Die einzige Öffnung«, sagt der Polizist und wischt sich ein wenig Kalk vom Anzug, »in die Wohnungen weiter unten führen keine Luken. Das hier war die einzige …«
Er kann seinen Satz nicht vervollständigen, da seine Wohnungstür aufgerissen wird. Und herein wirbelt ein weiblicher Tornado. Gefolgt von einem Polizisten. Sie schaut sich kurz um, entdeckt, dass der Wandbehang und Teile der Wand auf dem Boden liegen, lässt ihre Blicke über das quadratische Loch in der Wand schweifen.
»Ich hab doch gesagt, Sie sollen keine Unordnung machen!«
Sie lässt ihre Schultertasche mit dem Tonbandgerät fallen, wirft Schal, Jacke und Kameratasche auf den Boden, verursacht in einer Sekunde größeres Chaos als die Polizei seit ihrer Invasion in der Wohnung das geschafft hat. Schweig still, Weib, denkt Sundt. Offenbar hat er das laut gesagt, die Frau verstummt jedenfalls.
»Tut mir Leid«, sagt sie. »Ich sehe ja ein, dass Sie … Ihre Arbeit tun müssen. Gut.« Sie packt die Kameratasche, dreht rasch eine Linse auf den Kamerarumpf und fängt an zu knipsen.
»Aufhören«, sagt Sundt. »Wenn hier jemand Bilder macht, dann nicht Sie, verstanden?« Live Sagen versteht nichts. Sie würdigt ihn keines einzigen Blickes, sondern knipst unangefochten weiter. Worauf Sundt ihr die Kamera entreißt. Fehler. So darf ein norwegischer Polizist sich nicht aufführen. Jedenfalls nicht der vierten Macht im Staate gegenüber. Mit zusammengekniffenen Augen und einem säuerlichen Lächeln dreht sie sich zu Sundt um, streckt die Hand aus und sagt: »Live Sagen, sehr erfreut, Herr …«
»Sundt«, antwortet Sundt. »Hauptkommissar Sundt. Und würden Sie bitte draußen warten, damit wir hier weiter arbeiten können? Nur einige Minuten, wir möchten uns sehr gern mit Ihnen unterhalten.« Und du hast ja durchaus schöne Augen, mein Mädel, aber zieh trotzdem die Pfoten ein, deine Kamera bleibt bei mir, faucht er in Gedanken.
»Nur für einen Moment«, wiederholt er, ignoriert die ausgestreckte Hand, die die Kamera fordert, und schleust sie durch die Tür.
»Ihr ersetzt doch das Schloss? Und die Tür?«, ruft sie, ehe sie verschwindet. Sundt nickt. »Natürlich«, antwortet er.
37
»Nette Frau, diese Frau Sagen«, hört er. Sivert K. Ljaam kommt hinter der Tür zum Vorschein. Sundt stutzt, dann geht ihm auf, dass der Hausbesitzer unsichtbar war, bewusst oder unbewusst, auf jeden Fall hat er sich Live Sagen nicht gezeigt. Und sie hat auch nicht gemerkt, dass ihr Hauswirt sich im selben Zimmer aufhielt.
Wenige Minuten später stehen zwei Leute von der Technik im Zimmer, Sundt erteilt Befehle und geht. Zusammen mit dem Hausbesitzer verlässt er den Raum. Hinterlässt die Mitteilung, dass er sich mit Frau Sagen auf der Wache unterhalten wird. Seine Kollegen sehen nicht gerade fröhlich aus. Live Sagen dagegen tritt von einem Fuß auf den anderen und kann gar nicht schnell genug auf die Wache kommen.
»Gebt das der Technik«, sagt Sundt und reicht dem einen Polizisten die Kamera der Journalistin. »Sie sollen den Film entwickeln und gut darauf aufpassen«, fügt er hinzu. Der Polizist nickt.
Schacht, Räume und Fenster in der Wohnung werden von den technischen Ermittlern auf Jagd nach Spuren durchgekämmt. Sie träufeln und sprayen und pudern und arbeiten mit der Nase wenige Zentimeter über dem Boden und über möglichen Fingerabdruckflächen. Bilder werden gemacht, es wird geblitzt und geknipst. Und die ganze Zeit sind auch draußen Leute am Werk. Polizisten, die noch immer den Heckenschützen suchen, die Person, die die beiden Schüsse auf Spatz-Irina aus Murmansk und Polizistin Anne-kin aus Lamoen abgegeben hat. Die Taschendiebe auf dem Marktplatz von Trondheim haben Fettlebe, die Polizei kann sich einfach nicht auch noch um sie kümmern. Sie können den Rentnern ihre Brieftaschen stehlen, ohne dass die Polizeimeute von der Leine gelassen wird. Die Fahnder haben alle Hände voll zu tun.
Alle Türen, Haustüren, Durchgänge, Wohnungstüren sind untersucht worden. Keine war aufgebrochen worden, ehe die Polizei sich dazu gezwungen sah. Es gab keine Spur von Brechstangen oder anderen
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