Die Containerfrau
Unfeinheiten, die Schlösser sahen unversehrt und tadellos aus. Auch eine genaue Untersuchung der beiden Türen zu den Wohnungen im Dachgeschoss blieb ergebnislos. Wenn sie geöffnet worden sind, dann mit einem Schlüssel. Mit einem passenden. Die Person, die hier im Hinterhalt gelegen hat, muss also Schlüssel besessen haben. Es gibt keine offenen Dachfenster oder Luken, ganz zu schweigen von Gesimsen, auf denen ein Schütze sich hätte verstecken und dann davonschleichen können. Die Fenster sind von innen verschlossen und die Dächer über dem Hinterhof sind viel zu steil, um als Fluchtweg in Frage zu kommen.
Sundt ist sicher, dass Dachkanten eigentlich befestigt werden müssen. Und die feuerängstlichen Bewohner der beiden Häuser haben der Polizei gegenüber bestätigt und belegt, dass ihnen kein einziger Schlüssel fehlt. Keiner ist gestohlen, verlegt, verliehen worden. Weder an halbwüchsige Töchter oder Söhne noch an entfernte Verwandte oder sonst jemanden. Das wirkt überzeugend. Die Leute sind ordentlich, haben Überblick über ihre Schlüssel. Leider.
Sundt dreht sich noch einmal zu Sivert K. Ljaam um.
»Können Sie überprüfen, ob die anderen Schlüssel für die Wohnungsführungen in Ihrer Firma vorhanden sind?«, fragt er.
»Sicher, sicher«, beteuert Sivert K. Ljaam. »Aber ich habe doch gesagt, dass uns kein Schlüsselbund fehlt. Ich habe eins, meine Frau hat eins.« – »Ihre Frau?«, Sundt starrt ihn an. »Ihre Frau hat also eins? Würden Sie also Ihre Frau anrufen und sich Gewissheit verschaffen? Wir möchten gern mit ihr sprechen.« Sivert K. Ljaam blickt Sundt sauer an, er findet offenbar, dass man die Nerverei auch übertreiben kann.
»Vielleicht ist sie nicht zu Hause«, sagt er. »Aber sie hat jedenfalls die Reserveschlüssel. Sie ist sehr ordentlich, sie verkramt keine Schlüssel oder Brillen oder sonst was. Wenn sie die Schlüssel einmal bekommen hat, dann hat sie sie.«
Aber dann hat sie sie doch nicht. Ein Anruf bei der Gnädigen und Sundt weiß, noch ehe der Gatte auflegt, dass Frau Ljaam ihr Schlüsselbund nicht finden kann.
»Sagen Sie ihr, dass sie auf uns warten soll, wir sind bald bei ihr«, sagt Sundt, ehe der Ehemann kopfschüttelnd das Gesprach beendet. Und auf dem ganzen Weg zur Wohnung muss Sundt sich immer wieder anhören: »Ich begreife nicht … was kann da passiert sein … das ist unbegreiflich … wo sie doch immer … ich verstehe das einfach nicht …«
Die Gnädige versteht es auch nicht. Eine Frau, die bereits den Tisch mit Kaffee und Plätzchen gedeckt hat. Wenn ihr Mann zerfahren wirkt, dann ist sie das genaue Gegenteil. Frau Ella Ljaam ist eine robust aussehende Frau von Mitte fünfzig, diskret geschminkt und mit blonden Strähnen in ihren stahlgrauen Haaren.
»Ich weiß, dass ich die Schlüssel noch vor drei Tagen in der Handtasche hatte«, sagt sie einleitungslos. »An dem Tag hatte ich eine Führung.« Sie holt die Tasche. Die ist von der geräumigen Sorte.
So eine, in der man sich verirren kann, denkt Sundt, als er verstohlen in ihre Tasche linst und an die ebenso große seiner Frau denkt.
»Hier«, sagt sie und öffnet eine Seitentasche. »Hier waren Sie. Bitte, greifen Sie zu.« Sie schenkt Kaffee ein und schiebt Sundt die Schale mit den Plätzchen zu.
»Haben Sie eine Namensliste von allen, die an der Führung teilgenommen haben?«, fragt Sundt und ignoriert die trockenen Plätzchen.
»Aber sicher«, sagt sie rasch. »Drei haben schon ein Angebot eingereicht«, fügt sie hinzu. »Aber ich glaube einfach nicht, dass jemand von ihnen meine Schlüssel gestohlen haben kann.
Alle wirkten wie anständige Leute. Ich glaube, dass ich sie auf irgendeine Weise verloren habe.« Sie wühlt in der bodenlosen Tasche herum, gibt auf und kippt den Inhalt auf das Sofa. Dabei kommt ein Schlüsselbund zum Vorschein.
»Die Büroschlüssel«, erklärt sie und durchsucht Ecken und Futter der Tasche.
»Nichts zu finden, das ist einfach unbegreiflich«, seufzt sie. »Ich verlege meine Schlüssel sonst nie, nie. Ich habe den vollen Überblick über Schlüssel, Brillen und Kreditkarten, und ich hasse Unordnung.« Sundt begreift diese Logik nicht, die Tasche, die sie ihm hier gezeigt hat, zeugt von noch mehr »Unordnung« als die Schultasche seiner Tochter, einem Teenie mit Ordnungsverweigerung allem gegenüber, was mit Autoritätspersonen Ähnlichkeit hat. Lehrern und Müttern und nicht zuletzt den Papas, die bei der Polizei sind. Frau Ljaams Tasche ist
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