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Die Containerfrau

Die Containerfrau

Titel: Die Containerfrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kim Smage
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niemand ihn gehört. Und er ist ein ausreichend erfahrener Schütze, um zu wissen, dass es für andere absolut unmöglich ist, die Herkunft eines Schusses zu bestimmen, der innen aus einem Zimmer heraus abgegeben worden ist. Und dass ein Schuss besser funktioniert als jeglicher Schalldämpfer. Er war sicher schon über alle Berge, noch ehe die Polizei ihre Scheinwerfer auf die Mauern richten konnte. Hat sich innerhalb der zwei, drei Minuten, die sie brauchten, um alle Eingänge, Aufgänge, Türen abzusperren und Kontrolle über die Ein- und Ausgehenden zu erlangen, in Luft aufgelöst. Die zwei, drei Minuten haben diesem Menschen gereicht. Weil alles geplant war, weil jemand Bescheid gewusst haben muss! Jemand, der das nicht hätte wissen dürfen.
    Telefon und Computer schweigen gleichermaßen. Anne-kin Halvorsen seufzt. Entweder ist »ihr« Mann in Murmansk ermordet worden oder macht Mittagspause. Genau. Sie schaut auf die Uhr. Seltsame Zeit zum Mittagessen. Doch dann ist die Verbindung wieder da. Und die sympathische Stimme bittet um den Bericht der Dolmetscherin. Er hat den Namen überprüft, den die Frau angegeben hat, die Adresse, und wenn es stimmt, dann ist sie Fabrikarbeiterin. In der Fischindustrie. Achtzehn Jahre alt. Soviel er weiß nicht vermisst gemeldet. Kein Touristenvisum ausgestellt, soweit er das feststellen konnte. Aber sie müssen ihm Zeit lassen, Zeit, um engeren Kontakt zu den russischen Behörden aufzunehmen, zur Polizei. Sie müssen mit den Russen zusammenarbeiten. Ob sie das begreifen? Zwei Stunden, er meldet sich in zwei Stunden wieder. Und vorher, wenn er etwas Außergewöhnliches in Erfahrung bringt, wenn etwas passiert oder … Sie verstehen?
    Sie verstehen.
    »Armes Schwein«, sagte Kommissarin Halvorsen. »Hat es sicher mit noch aufgeblaseneren lahmarschigeren Wichtigtuern zu tun als wir. Oder was, Vangi?« Sie zupft ihn kurz am Schnurrbart und verschwindet, ehe er ihr das Handgelenk verstauchen kann. Dann setzen sie sich und warten. Warten und lesen zum x-ten Mal die Übersetzung, die die Dolmetscherin von ihrem sprunghaften Gespräch mit dem »Spatz« angefertigt hat. Name, Adresse, Alter, Beruf. Näherin, hat sie angegeben. Nicht Fabrikarbeiterin. Mutter: keine Angabe. Vater: irgendwo, ist auch egal, nur Suff und Scherereien, was den betrifft. Geschwister? Ja. Den großen Bruder Andrej. Arbeitet in der Fabrik, nein, hat in der Fabrik gearbeitet. Lieb und immer abgebrannt. Bis vor kurzem. Bis vor etwa einem halben Jahr. Nein, bis genau vor sechs Monaten. Bis zum Tod der Königin. Der Großmutter. (Ich glaube, an dieser Stelle weint sie, hat die Dolmetscherin geschrieben.) Anne-kin kann sich nicht erinnern, dass der »Spatz« geweint hätte. Sie erinnert sich nur an lange Pausen mit darauf folgendem lauten, wütendem, aggressiven Tonfall. Der »Spatz« hat also eine Babuschka gehabt, eine Großmutter als »Mutter«, eine Köchin und Bezugsperson, einen Strohhalm, der für einen halbwegs normalen Alltag sorgte. Eine, die die brüchige Familie zusammenhielt. Kontrolleurin, Moralhüterin und Wächterin. Die vor sechs Monaten gestorben ist. Und gleich darauf hatte der große Bruder Andrej plötzlich die Taschen voll Geld.
    Anne-kin stöhnt. Ihre eigenen Gedanken gefallen ihr nicht.
    »Das stinkt«, sagt sie. Kollege Vang beschnuppert rasch seine Achselhöhle, registriert, dass sein Hemd trocken ist.
    »Nicht du, Mann, du nach Sportshampoo duftender Arsch«, faucht sie, als sie die eilige Geruchsinspektion des Kollegen wahrnimmt. Vangs Schnurrbart macht einen zufriedenen kleinen Hüpfer. Von Halvorsen bekommt er nur selten ein Kompliment.
    »Ja, das stinkt«, sagt er. Und ist wieder im Dienst. »Denn das hier bedeutet …«
    »Ja«, fällt Anne-kin ihm ins Wort. »Es bedeutet, wir haben gedacht, wir hätten Überblick und Kontrolle. Überwachung und dauernde von der Polizei verursachte Unruhe hätten den ärgsten Handel zum Erliegen gebracht. Nicht wahr? Das dachten wir? Dass nach dieser verdammten Razzia mit Verhaftung von Norwegern und Ausweisung von cleveren Geschäftsmännern aus Osteuropa und der Rücksendung von Sexlieferantinnen aus denselben Ländern erst mal aufgeräumt worden sei? Nicht wahr? Und noch dazu auf Dauer? Dass wir den ganzen Dreck aus dem Land geschafft hätten? Oder jedenfalls aus der Stadt Trondheim?« Vang nickt widerwillig. So hätte er sich ja nicht ausgedrückt, aber vom Sinn her war das wohl der Sinn der erfolgreichen Aktion gewesen, die sie im Frühling

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