Die Corleones
»Hier«, sagte er und hielt sie ihr hin. »Nimm die auch noch.«
Kelly stieß seine Hand beiseite. »Luca«, keuchte sie. »Das Kind kommt. Du musst mich ins Krankenhaus bringen.«
Luca setzte sich neben sie aufs Bett und legte ihr die Hand auf die Schulter.
»Luca«, sagte Kelly.
Leise, als würde er mit sich selbst reden, erwiderte er: »Kelly, halt den Mund. Du bist eine Hure, aber ich sorge für dich.«
Kellys Lippen bewegten sich, aber sie brachte kein Wort heraus. Sie schloss die Augen und schien einzuschlafen.
Luca erhob sich, aber er stand noch nicht ganz aufrecht, als Kelly sich an seinem Arm festklammerte und ihn wieder nach unten zog. »Du musst mich ins Krankenhaus bringen!«, schrie sie. »Das Kind kommt!«
Luca riss sich erschrocken von ihr los und stieß sie aufs Bett zurück. »Verrückte Fotze! Ich hab dir doch gesagt, dass ich mich um dich kümmere.« Er griff nach dem Hörer des Telefons, das auf dem Nachttisch stand, als wollte er ihn ihr an den Kopf werfen – legte ihn dann aber wieder zurück und ging hinaus, während sie ihm leise seinen Namen nachrief, wieder und immer wieder.
In der Küche erklang eine rauchige Stimme aus dem Radio und sang »Goodnight, Irene«. Die Jungs am Tisch – seine Jungs und die beiden Polacken – schwiegen alle, glotzten in ihre Kartenoder starrten auf den Tisch. Luca nahm seinen Pelzmantel vom Garderobenständer. »Vinnie«, sagte er. »Du fährst mich.«
Vinnie blickte von seinen Karten auf. Wie immer sahen seine Kleider aus, als wären sie ihm eine Nummer zu groß. »Boss, die Straßen sind eine Katastrophe.«
Luca setzte den Hut auf, trat vor die Tür und wartete. Wolken hatten den Mond verschlungen, und überall um Luca herum war es dunkel und kalt; Schneeflocken wirbelten durch das Licht vor dem Küchenfenster. Er nahm den Hut ab und rieb sich die Schläfen. Der Wind fuhr ihm über die Stirn und durch das Haar. Vor seinem geistigen Auge sah er Kellys weißen Bauch und die blutverschmierten Laken. Eine Hitzewelle durchflutete ihn, und einen Augenblick lang glaubte er, er würde hinknien und sich übergeben müssen, aber er hielt sich aufrecht, und das Gefühl ebbte ab. Hinter ihm ging die Tür auf. Vinnie kam heraus, rieb sich die Hände und drehte sich zur Seite, um dem Wind weniger Angriffsfläche zu bieten. »Wo fahren wir hin, Boss?«, wollte er wissen.
»Auf der Tenth Avenue wohnt eine Hebamme. Weißt du, von wem ich rede?«
»Ja, klar. Filomena. Die bringt hier in der Stadt doch die Hälfte aller italienischen Kinder auf die Welt.«
»Da wollen wir hin«, erwiderte Luca und machte sich auf den Weg durch die Dunkelheit. Zu den Autos.
Ein schmaler Streifen Licht zeichnete sich am oberen Rand von Michaels Bettdecke ab. Er hatte sie sich über den Kopf gezogen und las beim Schein einer Taschenlampe. Auf der anderen Seite des Zimmers, in einem identischen Bett, lag Fredo auf der Seite, den Kopf auf den Ellenbogen gestützt, und schaute zu, wie vor dem Fenster der Schnee im Schein der Straßenlaterne langsam herabschwebte. Unter ihnen ging gerade ein Werbespot für Pudding zu Ende, und Jack Benny begann, Rochester anzubrüllen. Fredo spitzte die Ohren, aber er konnte nur hier und dort ein paar Worte von dem verstehen, was im Radio lief. »Hey, Michael«, sagte er leise, denn eigentlich sollten sie längst schlafen, »was machst du da?«
»Lesen«, erwiderte Michael nach einer Weile.
»
Cetrio’ «
, sagte Fredo. »Warum liest du denn dauernd? Aus dir wird noch mal ein Eierkopf.«
»Du sollst schlafen, Fredo.«
»Schlaf doch selber«, sagte Fredo. »Bei dem ganzen Schnee müssen wir morgen vielleicht gar nicht in die Schule.«
Michael knipste die Taschenlampe aus und schaute unter der Decke hervor. Er legte sich auf die Seite und sah zu Fredo hinüber. »Warum ist dir die Schule so egal? Willst du nichts aus dir machen?«
»Ach, halt die Klappe. Du bist ein Eierkopf!«
Michael legte sein Geschichtsbuch auf den Boden und stellte die Taschenlampe darauf. »Papa nimmt mich mit ins Rathaus. Dort treffen wir uns mit Stadtrat Fischer.« Er drehte sich auf den Rücken und blickte zur Decke hinauf. »Stadtrat Fischer wird mit mir eine Führung durch das Rathaus machen.«
»Das weiß ich doch. Papa hat mich gefragt, ob ich mit will.«
»Yeah?« Michael wandte seine Aufmerksamkeit wieder Fredo zu. »Und du wolltest nicht?«
»Warum soll ich mir das Rathaus anschauen? Ich bin doch kein Eierkopf!«
»Man muss kein Eierkopf sein, um sich
Weitere Kostenlose Bücher