Die Corleones
der rechten Wange. Er trug eine Weste über einem weißen, langärmeligen Hemd, das im hellen Schein der Sonne leuchtete. Die Streifen auf der Weste verliefen schräg nach innen und bildeten ein V. Eine goldene Uhrkette hing zwischen den Westentaschen und bildete über seinem Bauch einen Halbkreis. Hinter ihm befanden sich zwei große Steinsäulen und ein kunstvoll verzierter schmiedeeiserner Zaun, und dort stand auch einer von mehreren Leibwächtern mit einem Gewehr über der Schulter. An all das erinnerte er sich mit großer Deutlichkeit – wie seine Mutter um das Leben ihres einzigen verbliebenen Sohnes bettelte, wie derDon sie abwies, wie seine Mutter sich blitzschnell hinkniete und ein Messer unter dem schwarzen Kleid hervorzog, wie sie es Don Ciccio an den Hals hielt, und an ihre letzten Worte:
Lauf, Vito!
Und an den Schuss, der sie mit ausgebreiteten Armen nach hinten geschleudert hatte.
Diese Erinnerungen hätte er am liebsten aus seinem Gedächtnis verbannt. Hin und wieder träumte er davon, nach Sizilien zurückzukehren und Don Ciccio wie ein Schwein abzustechen. Ciccio war noch immer am Leben und residierte in seiner Villa in der Nähe des Dorfes Corleone. Er war noch immer der Don. Vor vierzehn Jahren, als Vito sich für sein derzeitiges Leben entschieden hatte, indem er Don Fanucci, ein anderes fettes Schwein, ermordet hatte, das der Meinung gewesen war, es könnte sein kleines Stück New York wie ein Dorf in Sizilien regieren, hatten Vitos Freunde ihn für furchtlos gehalten, für einen Mann, der seinen Feinden gegenüber keine Gnade kannte. Er ließ sie in dem Glauben, damals wie heute. In gewisser Hinsicht entsprach es auch der Wahrheit. Allerdings hatte er Fanucci von dem Augenblick an töten wollen, als er ihm das erste Mal begegnet war, und die Entschlusskraft dazu hatte er gefunden, als er begriff, wie er von Fanuccis Tod profitieren konnte. Er hatte nie auch nur die geringste Angst empfunden. Er hatte Fanucci in einem dunklen Korridor vor seiner Wohnung aufgelauert. Die Musik und der Lärm des Feuerwerks zur Feier des heiligen Januarius wurden durch die Backsteinmauer des Mietshauses gedämpft. Er hatte ein weißes Handtuch um den Lauf seiner Pistole gewickelt, und das Handtuch ging in Flammen auf, kaum hatte er den ersten Schuss abgefeuert, Fanucci direkt ins Herz. Fanucci riss seine Weste auf, als wollte er nach der anstößigen Kugel suchen, und Vito schoss erneut, dieses Mal mitten ins Gesicht. Die Kugel hinterließ lediglich ein kleines rotes Loch in der Wange des dicken Mannes. Als er schließlich zu Boden ging, wickelte Vito das brennende Handtuch von der Pistole, steckte Fanucci den Lauf in den Mund und feuerte ihm einen letzten Schuss ins Gehirn. Angesichts von Fanuccis in sich zusammengesackter Gestalt empfander nichts außer Dankbarkeit. Sein Verstand mochte nicht begreifen, warum er das Gefühl hatte, die Morde an seiner Familie gerächt zu haben, aber sein Herz begriff das nur zu gut.
So fing alles an. Der Nächste, den Vito tötete, war Don Ciccio selbst. Er kehrte nach Sizilien zurück, in sein Heimatdorf Corleone, und stach ihn ab wie ein Schwein.
Jetzt befand sich Vito im Arbeitszimmer seiner weiträumigen Wohnung, selbst ein Don, und begutachtete Blaupausen eines Anwesens, das er bauen wollte. Unten stritten sich Fredo und Michael wieder einmal. Vito zog sein Jackett aus und hängte es über die Lehne seines Schreibtischstuhls. Als das Geschrei verstummte, konzentrierte er sich wieder auf die Grundrisse. Dann schrie Carmella ihre Söhne an, und die beiden verteidigten sich lauthals. Vito schob die Blaupausen beiseite und machte sich auf den Weg in die Küche. Bevor er die Treppe halb hinuntergestiegen war, hörte das Geschrei auf. Bis er die Küche erreichte, saßen Michael und Fredo still am Tisch. Michael las in einem Schulbuch, und Fredo tat nichts, sondern saß nur mit gefalteten Händen da. Während Carmella besorgt zuschaute, packte Vito beide Jungen an den Ohren und zog sie mit sich ins Wohnzimmer. Fredo hatte angefangen, »Papa! Papa!« zu schreien, sobald Vito ihn nur berührte, während Michael wie gewöhnlich schwieg.
»Papa!«, sagte Fredo. »Michael hat mir einen Nickel aus der Jackentasche geklaut!« Er hatte bereits Tränen in den Augen.
Vito sah Michael an. Sein jüngster Sohn erinnerte ihn daran, wie er selbst als Junge gewesen war. Allem Anschein nach spielte er am liebsten alleine und er sprach nur wenig.
Michael erwiderte den Blick seines Vaters und
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