Die Corleones
denn niemand gesagt, dass ich ein Ungeheuer bin?« Er deutete auf Vito. »Sind Sie ganz alleine gekommen? Sie müssen noch verrückter sein als ich.« Er lächelte und lachte schließlich. »Das macht mir Angst.«
Vito schenkte Luca die Andeutung eines Lächelns. Brasi war groß und muskulös; seine vorgewölbte Stirn ließ ihn äußerst brutal erscheinen. Er trug einen blauen Nadelstreifenanzug mit Krawatte und Weste, aber sein massiger Körper wirkte darin nicht weniger eindrucksvoll. Obwohl er sich bemühte, freundlich zu sein, funkelten seine Augen finster, was ahnen ließ, wie unberechenbar und gefährlich er war. Vito glaubte sofort alles, was er je über Luca Brasi gehört hatte. »Ich wollte Sie kennenlernen«, sagte er. »Ich wollte den Mann kennenlernen, der Giuseppe Mariposa das Fürchten gelehrt hat.«
»Aber Sie fürchten sich offenbar nicht«, entgegnete Luca. Seine Stimme klang weder freundlich noch belustigt. Sie ließ nichts Gutes ahnen.
Vito zuckte mit den Schultern. »Ich weiß ein paar Dinge über Sie.«
»Was wissen Sie denn, Vito?«
Obwohl Brasi ihn beim Vornamen genannt hatte, ließ Vito sich nicht provozieren. »Als Sie ein kleiner Junge waren, zwölf Jahre alt, um genau zu sein, wurde Ihre Mutter angegriffen, und Sie haben ihr das Leben gerettet.«
»Darüber wissen Sie also Bescheid.« Luca klang gleichgültig, als würde ihn das nicht überraschen oder beunruhigen, aber in seinen Augen konnte Vito etwas anderes erkennen. »Ein solcher Mann«, fuhr Vito fort, »der schon als Junge den Mut hat, für seine Mutter einzustehen – ein solcher Mann muss sehr tapfer sein.«
»Und was wissen Sie über den Mann, der meine Mutter angegriffen hat?« Luca streckte die Beine, beugte sich vor und rieb sich die Stirn.
»Ich weiß, dass er Ihr Vater war.«
»Dann wissen Sie auch, dass ich ihn getötet habe.«
»Sie taten, was Sie tun mussten, um Ihrer Mutter das Leben zu retten.«
Luca sah Vito schweigend an. In der Stille war plötzlich der Verkehrslärm von der Park Avenue zu hören. Schließlich sagte er: »Ich hab ihm mit einem Kantholz den Schädel eingeschlagen.«
»Gut. Kein Kind sollte mit ansehen müssen, wie seine Mutter ermordet wird. Ich hoffe, Sie haben ihm den Kopf zu Brei geschlagen.«
Wieder musterte Luca Vito wortlos.
»Falls Sie sich fragen, woher ich das alles weiß, Luca – ich habe Freunde bei der Polizei. Rhode Island befindet sich nicht in einem anderen Universum. Das steht alles in den Akten.«
»Sie wissen also, was die Polizei weiß«, sagte Luca sichtlich erleichtert. »Und warum sind Sie hier, Vito?« Offensichtlich wollte er das Thema wechseln. »Spielen Sie jetzt den Laufburschen für Jumpin’ Joe Mariposa? Wollen Sie mir drohen?«
»Ganz bestimmt nicht. Ich kann Giuseppe Mariposa nicht ausstehen. Das zumindest haben wir gemeinsam.«
»Na und?« Luca ging um seinen Schreibtisch herum und ließ sich schwer auf seinen Stuhl fallen. »Worum geht’s dann? Um Tomasinos Jungs?«
»Die interessieren mich nicht. Ich bin hier, weil ich herausfinden möchte, wer Giuseppe bestiehlt. Er ist sauer und macht mir eine Menge Ärger. Er hat es sich in den Kopf gesetzt, dass ich dafür verantwortlich bin.«
»Sie?«, fragte Luca. »Wie kommt er denn darauf?«
»Wer weiß schon, was in Giuseppes Schädel vor sich geht? Aber so oder so, es würde mir wirklich weiterhelfen, wenn ich herausfinden könnte, wer hinter dieser ganzen Sache steckt. Wenn ich ihm das sagen könnte, würde er mich in Ruhe lassen. Und ob uns das gefällt oder nicht – im Moment ist Giuseppe Mariposa ein äußerst mächtiger Mann.«
»Ich verstehe. Und warum sollte ich Ihnen helfen?«
»Aus Freundschaft. Es ist immer besser, Freunde zu haben, nicht wahr, Luca?«
Luca blickte zur Decke hinauf, als würde er es sich überlegen. Er zögerte einen Augenblick und sagte dann: »Nein. Kommt leider nicht infrage. Ich mag den Jungen, der Giuseppe den Schnaps klaut. Und Sie haben recht, Vito, eine Sache haben wir gemeinsam: Ich kann Mariposa nicht ausstehen. Ich hasse diesen
stronz’
!«
Jetzt war es an Vito zu schweigen und Luca lange anzusehen. Brasi hatte nie beabsichtigt, die Diebe zu verraten, und das nötigte Vito einen gewissen Respekt ab. »Luca«, sagte er, »machen Sie sich denn keine Sorgen? Haben Sie überhaupt keine Angst vor Giuseppe Mariposa? Sie wissen schon, wie mächtig er jetzt ist, oder? Vor allem, seit LaConti von der Bildfläche verschwunden ist? Immerhin hat er sämtliche Bullen und
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