Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
ihn von einem Gebäude in Fertigbauweise hatte überzeugen können. Am Montag sollte das Fundament gegossen werden. Das Haus würde etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen, aber in einigen Wochen sollte es ebenfalls bewohnbar sein.
„Ich vermute, in dem Tourbus wird es allmählich ein bisschen eng“, meinte Melissa, bereute aber sofort ihre Bemerkung, da sie mit dem Bus ganz bestimmte Erinnerungen verband.
Aus dem Augenwinkel sah sie, wie ein flüchtiges Lächeln Stevens Mund umspielte. „Genau genommen ist der Bus ziemlich bequem.“
Melissa stellte erleichtert fest, dass sie sich der Grange Hall näherten. Das historische Gebäude stammte noch aus der Zeit von Sam O’Ballivan. Die niemals mit einem Anstrich versehenen Außenmauern waren von einhundert Jahren mit schweren Regenfällen, tief verschneiten Wintern und erbarmungslosen Hitzeperioden gezeichnet. Brads Großzügigkeit war es zu verdanken, dass das Bauwerk sich in einem weitaus besseren Zustand befand, als man auf den ersten Blick vermuten würde. Das Dach war stabil, die Tanzfläche eben, und die kleine Bühne war für Liveauftritte von Musikern ebenso ausgerüstet wie für die Produktionen der örtlichen Theatergruppe.
Heute Abend drängten sich Limousinen, Kombis und Pick-up-Trucks auf dem Kiesplatz, der als Parkfläche diente, und in der Luft hing eine freudige Anspannung. Der Klang von E-Gitarren trieb gemächlich hinaus in die warme Abendluft und erinnerte Melissa an längst vergangene Zeiten, als sie, Ashley, Brad und Olivia noch Kinder waren, als ihre Mom noch für sie da war und ihr Dad noch lebte.
Wie sehr hatte Delia diese Tanzabende geliebt. Die ganze Woche hatte sie sich darauf gefreut. Samstag trug sie Lockenwickler im frisch gewaschenen Haar, und oft schaffte sie es, vom Haushaltsgeld ein paar Cent abzuzweigen, um sich einen billigen Lippenstift zu kaufen, weil sie sich dann etwas hübscher fühlte, wie sie immer sagte. Delia hatte ein paar Lieblingskleider, die weit ausgestellt waren, weil sich mit ihnen besser um die eigene Achse drehen konnte. Und sie stolzierte vor dem Spiegel hin und her, als würde sie für die kommende Veranstaltung ihr Lächeln proben.
Aber vielleicht hatte sie gar nicht für den Tanz geprobt, sondern für den Mann, mit dem sie sich getroffen hatte, nachdem sie in den Bus gestiegen war, um Stone Creek und ihre Familie für immer hinter sich zu lassen.
Melissa seufzte. Delia lebte nicht mehr. Sie war vor ein paar Jahren an den Folgen ihres Lebenswandels und der Langzeitwirkung des beständigen Alkoholmissbrauchs gestorben. Zu dem Zeitpunkt war die Frau für Melissa bereits seit so vielen Jahren eine Fremde gewesen, dass der Verlust sie nicht persönlich berührt hatte. Getrauert hatte Melissa als Kind um ihre Mutter.
Damals hatte ihr Dad, ein stiller, nachdenklicher und vielleicht auch etwas schüchterner Mann, Delias Auftritte lächelnd und voller Bewunderung mit angesehen. Als hätte er noch nie ein wundervolleres Bild zu Gesicht bekommen als das seiner Frau, die sich so schnell um ihre eigene Achse drehte, dass der Saum ihres Kleides in die Höhe gewirbelt wurde und ihre wohlgeformten Beine zum Vorschein kamen.
Früher waren ganze Familien zu den Tanzabenden gegangen, nicht nur die Mütter und Väter, sondern auch die Kinder und die alten Leute. Melissa erinnerte sich noch gut daran, wie sie mit ihren Geschwistern und anderen Kindern in der Grange Hall und auf dem Gelände ringsum ausgelassen herumgerannt waren, bis die Erschöpfung sie schließlich übermannt hatte.
Je weiter der Abend fortschritt, umso mehr Kinder legten sich auf den behelfsmäßigen Betten schlafen, bei denen es sich in aller Regel um Pferdedecken oder ausgebreitete Jacken und Mäntel handelte. Wenn die Veranstaltung gegen Mitternacht endete, wurden sie von ihren Eltern zum Wagen getragen.
Für einen Moment kehrte Melissa zurück in diese Zeit. Sie konnte das Aftershave ihres Vaters ebenso riechen wie den frischen Duft der Jacke, die er zu diesen Anlässen trug. Sie fühlte die Wärme und Kraft seiner Schulter, gegen die sie ihren Kopf gelehnt hatte. Er trug sie auf dem einen und Ashley auf dem anderen Arm – und als Melissa ins Hier und Jetzt zurückkehrte, hatte sie einen Kloß im Hals, und Tränen stiegen ihr in die Augen.
Steven bezahlte den bescheidenen Eintrittspreis, mit dem zum einen die Band bezahlt und zum anderen die lokale historische Gesellschaft unterstützt wurde. An der Art, wie er sie währenddessen aus leicht
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