Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
Zwar nickte er als Erwiderung auf die Bemerkung seines Vaters, aber er war ganz auf Melissa und seine Zeichnung konzentriert.
„Siehst du?“, sagte er. „Davon hab ich dir bei der Parade erzählt. Das bin ich, das ist mein Dad, und da ist Zeke. Und da bist du.“
Melissas Kehle war bei diesen Worten wie zugeschnürt. Ihr Buntstiftkonterfei trug die Haare hochgesteckt, es hatte offenbar einen Anzug an und hielt eine sehr große Handtasche oder eine Aktentasche in der Hand.
„Und das da?“, fragte sie und zeigte auf eine weitere Figur.
„Das ist mein Pferd. Das bekomm ich bald. Grandpa Davis hat gesagt, wenn Dad mir mein Pony nicht kauft, dann macht er es.“
„Ach, tatsächlich?“, fragte Steven seinen Vater interessiert.
„Wir sollten uns jetzt schlafen legen“, schlug Davis hastig vor. „Morgen findet ein Rodeo statt, und ich weiß zwar nicht, was ihr dazu meint, aber ich will frühzeitig da sein, um einen guten Tribünenplatz zu ergattern, und das heißt, dass ich meinen Schlaf brauche.“
Als er das Wort „Rodeo“ hörte, vergaß Matt seine Zeichnung und rannte in sein Zimmer, um nur eine Minute später mit allem zurückzukehren, was er für die Übernachtung im Wohnmobil benötigte.
Melissa bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie wusste, dass sie der Grund dafür war, dass Brody und Matt im Wohnmobil statt im Haus schlafen mussten. Angesichts der Ereignisse wäre es vielleicht besser gewesen, den Jungen in dieser Nacht in der Nähe seines Vaters schlafen zu lassen, damit er sich jederzeit davon überzeugen konnte, dass Steven nichts passiert war.
Brody und Davis verließen in eine Unterhaltung vertieft das Haus, während Steven und Matt ins Kinderzimmer zurückkehrten, um einen sauberen Schlafanzug als Ersatz für den Pyjama zu holen, den er zuerst ausgesucht hatte.
„Steven hat gesagt, es würde Ihnen nichts ausmachen, wenn ich mir von Ihnen etwas zum Anziehen ausleihe“, sagte Melissa zu Kim, als sie beide allein am Tisch saßen.
Kim tätschelte lächelnd ihre Hand. „Kein Grund zur Sorge, das ist schon okay“, erwiderte sie, dann wanderte ihr Blick zu der Zeichnung, die Melissa noch immer in der Hand hielt.
In Melissas Kopf hallten Matts Worte nach.
Und da bist du … Und da bist du …
„Fühlen Sie sich wirklich gut, Melissa?“, erkundigte sich Kim besorgt.
Mit aller Kraft versuchte sie sich zu einem Lächeln durchzuringen, aber dann schüttelte sie den Kopf. „Ich glaube nicht“, gestand sie schließlich. „Es war so schrecklich. Vor allem als der zweite Schuss fiel und ich dachte, Steven wäre … ich dachte, er ist tot oder schwer verletzt …“
Kim legte tröstend eine Hand auf Melissas Schulter. Aus heiterem Himmel musste Melissa an ihre Mutter denken, die nie richtig für ihre vier Kinder da gewesen war und die sich jetzt nicht mehr um sie kümmern konnte. Bedauern und Wut trafen sie mit solcher Wucht, dass sie das Gefühl hatte, einen Schlag ins Gesicht zu bekommen.
„Vielleicht sollten Sie einen Arzt aufsuchen“, meinte Kim.
„Nein“, wehrte Melissa ab. „Morgen früh geht’s mir schon wieder besser.“
Steven und Matt kehrten zurück, der Junge trug einen Baumwollschlafanzug, der mit Planwagen, Kakteen und Tipis gemustert war.
„Ich bin Colorado Kid!“, verkündete er und hob die Arme, als wäre der Pyjama ein Beweis für seine bevorzugte Identität.
„Du bist verrückt“, konterte Steven amüsiert.
Nach einem letzten besorgten Blick auf Melissa stand Kim auf und gähnte und streckte sich übertrieben. „Wir sollten jetzt besser zu Bett gehen“, sagte sie zu ihrem Enkel. „Es ist schon spät.“
„Gute Nacht“, wünschte Steven seiner Stiefmutter und seinem Sohn.
Nachdem alle – auch der Hund – das Haus verlassen hatten, blieb Steven noch eine Weile neben dem Küchentisch stehen, an dem Melissa saß.
Vor ihr lag immer noch das Bild mit der Strichmännchenfamilie. Tränen brannten in ihren Augen, und sie spürte einen Kloß im Hals.
Schließlich ging Steven zu ihr, nahm ihre Hand und zog sie hoch. Dann legte er seine Hände an ihr Gesicht und drückte ihren Kopf sanft nach hinten, damit er ihr in die Augen sehen konnte.
„Ich möchte dich heute Nacht nur festhalten“, erklärte er. „Aber wenn du lieber in Matts Zimmer schlafen möchtest, bin ich damit auch einverstanden.“
„Ich möchte dich festhalten“, gab sie zurück.
Er lächelte sie an. „Dann sind wir ja einer Meinung.“
Sein Schlafzimmer lag genau wie das von Matt
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