Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
überreden, für diesen besonderen Anlass irgendeine Spezialität auf den Tisch zu zaubern. Zugegeben, es bestand natürlich das Risiko, dass Tom und Tessa sich gar nicht leiden konnten und sich diese Abneigung dann auch gegen sie richten würde, weil sie die beiden eingeladen hatte. Aber vielleicht hatte sie das Glück auch auf ihrer Seite, und es würde ihr gelingen, eine große Sache ins Rollen zu bringen.
Diese Vorstellung entlockte ihr ein Lächeln. Am besten wäre es, wenn sie auch Steven dazu einladen würde. Dann würde sie sich nicht überflüssig vorkommen, wenn die zwei sich gut verstanden. Vor allem aber würde Tom sich als Mann neben zwei Frauen nicht so zahlenmäßig unterlegen vorkommen.
Selbstverständlich würde sie den Mann dann nicht wieder mit einem Kuss überfallen, wie sie es vorgestern Abend getan hatte. Allein der Gedanke daran ließ sie erröten. Den ganzen Sonntag über hatte sie Zeit gehabt, den Zwischenfall zu vergessen, aber jetzt dachte sie schon wieder darüber nach.
Was ist nur mit mir los?
Melissa beschloss, vorläufig niemanden mit irgendwem zu verkuppeln, sondern auf Ashleys Rückkehr aus Chicago zu warten, damit sie sie um Rat fragen konnte.
Himmel, wie sehr sie ihre Schwester vermisste!
Sie joggte weiter, vorbei an der Bibliothek und der Post mit der großen Wiese und dem Fahnenmast davor, vorbei an den leuchtend blauen Briefkästen, die die Straße säumten. Es wurde Zeit, nach Hause zurückzukehren. Sie verließ die Main Street und lief in die parallel dazu verlaufende Wohnstraße. Jedes Haus dort war ihr vertraut. Sie wusste, wer jetzt da lebte, wer vor diesen Leuten dort gewohnt hatte und sogar, wem das jeweilige Gebäude
davor
gehört hatte. Sie kannte die Menschen und ihre Vorgeschichten, die Namen der aktuellen wie die der verstorbenen Haustiere.
Das gehörte zum Leben in einer Kleinstadt.
Schließlich kam sie an Ashleys Bed & Breakfast vorbei, wo sich zumindest im Vorgarten keine nackten Krocketspieler tummelten. Vielleicht liegt es an der Kälte, überlegte sie amüsiert, aber womöglich hielten sie sich im Garten hinter dem Haus auf.
Melissa war so in Gedanken und so daran gewöhnt, früh am Morgen durch die Stadt zu laufen, dass sie gar nicht auf ihre Umgebung achtete und auf dem Kiesweg zwischen dem Bed & Breakfast und dem Haus der Crockett-Schwestern beinahe überfahren worden wäre.
Ein Wagen kam auf sie zugerutscht, dessen Reifen auf dem Kies nur wenig Halt fanden und einen Hagel aus kleinen Steinen in ihre Richtung schickten. Um sich in Sicherheit zu bringen, machte sie einen Satz auf den Rasenstreifen neben dem Weg, verfehlte ihn aber knapp und scheuerte sich auf dem rauen Untergrund die Hosenbeine auf.
Sekundenlang schien alles um sie herum zu vibrieren, und sie kam sich vor, als würde sie in einer von der Außenwelt abgeschnittenen Blase stecken. Sämtliche Geräusche drangen so verzerrt zu ihr vor wie bei einer alten Schallplatte, die zu langsam abgespielt wurde.
Und auf einmal hockte Andrea vor ihr und fasste sie an den Schultern. „Ist alles in Ordnung?“, fragte sie aufgeregt. „Oh mein Gott, Melissa! Geht es Ihnen gut?“
Mit Andreas Hilfe stand Melissa auf. Sie zitterte am ganzen Leib, und das Atmen fiel ihr schwer, da ihr der Staub von der Straße in den Hals gekommen war. Erst jetzt bemerkte sie, dass Byron ein Stück von ihr entfernt stand und sie besorgt ansah. Seine Haare waren zerzaust, und seine Kleidung machte den Eindruck, als ob er sie in aller Eile angezogen hatte.
Andrea folgte Melissas Blick, dann konzentrierte sie sich wieder auf ihre Chefin und redete hastig weiter: „Das tut mir so leid! Es tut mir wirklich schrecklich leid …“
„Vielleicht sollte sie einen Arzt aufsuchen“, schlug Byron vor.
Melissa schüttelte den Kopf. Sie hatte sich zu Tode erschrocken und sich die Knie aufgeschrammt, aber sie war nicht ernsthaft verletzt. Sie würde duschen, sobald sie wieder zu Hause war. Wenn sie tatsächlich Schürfwunden hatte, brauchte sie nur eine antibakterielle Salbe und ein paar Pflaster oder einen Verband.
Das hieß jedoch nicht, dass sie den Zwischenfall unkommentiert lassen würde. Natürlich hätte sie aufpassen müssen, anstatt einfach die Gasse zu überqueren. Aber trotzdem war der alte Wagen eindeutig zu schnell gewesen.
„Wer ist gefahren?“, fragte sie und sah zwischen Byron und Andrea hin und her.
Byron bekam einen roten Hals und fuhr sich verlegen durch die Haare.
„Ich war das“, erklärte Andrea
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