Die Creeds: Wenn ein Herz nach Hause kommt (German Edition)
regelrecht
spüren
, dafür musste sie ihn gar nicht erst ansehen.
„Wir sind bald zurück“, ließ er Andrea wissen.
Aus dem Augenwinkel sah Melissa, wie ihre Assistentin nickte, bevor sie an ihren Schreibtisch zurückkehrte. Zwei Minuten später waren sie unterwegs. Auf der Fahrt blätterte Melissa die eingegangenen Nachrichten durch, um Gewissheit zu haben, dass sich sonst nichts von Bedeutung ereignet hatte. Dann steckte sie die Zettel in ihre Handtasche. Das einzig Unklare war die Sache mit dem Toilettenpapier.
Der Anruf war von Bea Brady gekommen, was sie nicht wunderte, da die gute Bea ihr auf der Versammlung dadurch aufgefallen war, dass sie immer wieder energisch das Wort ergriff.
„Manche Leute“, meinte sie seufzend, „haben einfach
zu viel
Zeit.“
„Dir ist hoffentlich klar“, konterte Tom, „dass es in Stone Creek einige Leute gibt, die das Gleiche über uns sagen. Der große Witz beim Friseur ist der, dass ich meine Dienstwaffe eigentlich gar nicht laden müsste. Es würde genügen, wenn ich eine einzige Patrone in der Hemdtasche mit mir herumtrage.“
Unwillkürlich musste Melissa kichern, aber dann fuhr sie ernst fort: „Manchmal habe ich das Gefühl, ich mache den falschen Job.“ Ihr Eingeständnis war nicht nur für Tom eine Überraschung, sondern auch für sie selbst.
Er sah Melissa verwundert an. „Tatsächlich?“, fragte er. „Du hast verdammt hart gearbeitet, um deinen Abschluss zu machen und dich als Anwältin zu etablieren. Was würdest du denn stattdessen machen wollen?“
„Interessante Frage“, murmelte sie. Vor ihrer Trennung von Dan hatten sie sich auf einen grundsätzlichen Plan geeinigt: Sie wollte ihre Karriere ein paar Jahre ruhen lassen, um ihm zu helfen, seine beiden Jungs und mindestens ein eigenes Kind großzuziehen. Daneben würde sie sich an häuslichen Künsten wie dem Kochen oder dem Dekorieren versuchen, so wie es Ashley tat. „Und um ehrlich zu sein, weiß ich darauf keine Antwort.“
Vermutlich ist das das eigentliche Problem, überlegte sie.
Melissa wusste nicht, was sie tun sollte, wenn sie nicht als Anwältin arbeiten würde. Und sie wusste nicht,
wer
sie sonst sein sollte.
Sie war so überzeugt davon gewesen, dass sie Dan liebte und mit ihm zusammenleben wollte. Doch als es daranging, sich auf einen Termin zu einigen und tatsächlich
zu heiraten
, bekam sie auf einmal Panik. Und Dan, der lange Zeit Geduld bewiesen hatte, war außer sich vor Wut gewesen. Er hatte ihr ein Ultimatum gestellt und ihr achtundvierzig Stunden Zeit gegeben, um zu entscheiden, ob sie ihn heiraten oder sich von ihm trennen wollte.
Melissa hatte keine achtundvierzig Stunden benötigt – nicht einmal achtundvierzig Sekunden – und sich auf der Stelle von ihm getrennt.
Natürlich war sie davon ausgegangen, dass er nach ein oder zwei Tagen, spätestens nach einer Woche, zu ihr zurückkehren und ihr einen großen Blumenstrauß schenken würde, um sie dann zu überreden, es sich doch noch einmal zu überlegen. So wie er es immer gemacht hatte, wenn sie sich über etwas gestritten hatten. Diesmal jedoch kehrte er nicht zurück. Es hatte keine liebevollen Worte gegeben, keinen heißen Versöhnungssex, gar nichts. Vielmehr hatte er sich noch in der gleichen Woche mit einer Kellnerin verabredet, die er kurz darauf heiratete.
„So“, sagte Tom und hielt den Wagen vor dem Bed & Breakfast an. „Da wären wir.“
„Ja“, entgegnete sie, kniff die Augen zusammen und musterte aufmerksam das Haus. „Bringen wir’s hinter uns.“
Tom lachte, stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete Melissa die Tür, dann ließ er Elvis raus.
Sogar hier vorn konnte man die Geräuschkulisse einer ausgelassenen Feier hören: Gitarrenmusik, Gelächter und Gejohle, dazu lauter, mitreißender Applaus.
„Verdammt“, murmelte sie kopfschüttelnd, während Tom ihr das Gartentor aufhielt und darauf wartete, dass sie vorging.
„Du kannst auch gern hier warten, wenn dir das lieber ist“, bot er ihr an. Elvis trottete zufrieden hinter ihnen her und schnupperte auf dem Boden.
„Ach weißt du, es ist ja nicht so, als hätte ich noch nie einen nackten Mann gesehen.“
Tom begann zu lachen. „Was?“
Ungewollt hatte sie ihre heimliche Angst ausgesprochen: dass Ashleys Gäste sich abermals hüllenlos präsentieren könnten. „Du weißt schon, was ich meine“, erwiderte sie etwas ungehalten.
„Was ist eigentlich los mit dir? Sobald ich um eine Ecke fahre, zuckst du zusammen, und ich
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