Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
Oberhand.
Sie hatten eine Vereinbarung getroffen, und abgemacht war abgemacht.
Kein Sex.
Jetzt noch nicht.
Brody parkte den Pick-up am Straßenrand, befahl den Hunden, sich zu benehmen, und begleitete Carolyn die Außentreppe hinauf bis vor ihre Tür.
Er wartete, die Hände in den Taschen seiner Jeans – na ja, sie gehörte Conner –, bis Carolyn die Tür aufgeschlossen, die Schwelle überschritten und das Küchenlicht eingeschaltet hatte.
Während er immer noch überlegte, ob er ihr in die Wohnung folgen und versuchen sollte, sie zu küssen, strich dieser übellaunige Kater schnurrend um ihre Knöchel. Jeder andere hätte bei diesem Geschöpf einen halbwegs anständigen Charakter vermutet, doch Brody wusste es besser – es war die Ausgeburt des Teufels.
Carolyn lächelte liebevoll auf das Tierchen herab und sagte leise: „Gute Nacht, Brody.“ Dann ließ sie die Tür vor seiner Nase mit sanftem Klicken ins Schloss fallen.
Damit hatte sich die Frage nach dem Kuss erledigt.
Brody zuckte mit den Schultern und machte kehrt. Auf der Ranch wartete Arbeit auf ihn, und die Hunde, die im Pick-up saßen, wurden sicher auch langsam kribbelig.
Trotzdem machte er auf der Heimfahrt einen kleinen Umweg, fuhr am Kartenschalter und der Snackbar des ehemaligen Bluebird-Drive-in-Kinos vorbei, stellte den Wagen ab und blickte zu der abblätternden Leinwand hoch.
Er hatte das Ding mitsamt den zwei Gebäuden auf dem Grundstück planieren lassen wollen, seit Mitte März der letzte Schnee geschmolzen war. Doch wegen des Baus von Haus und Scheune und seiner Pflichten auf der Ranch war er nicht dazu gekommen. Und wie die meisten Einwohner von Lonesome Bend und sogar der kleineren Städte in der Umgebung verband er schöne Erinnerungen mit dem Kino.
Trotzdem hatte er nach wie vor die Absicht, dieses vernachlässigte Land räumen zu lassen, Zäune zu ziehen undGras auszusäen, um dort Vieh und Pferde zu weiden. Doch bis es so weit war, hatte das Bluebird-Drive-in noch einen Schwanengesang verdient, fand Brody.
Carolyn wünschte sich ein Essen und einen Kinobesuch?
Schon in Arbeit.
Nach dem Besuch in Brodys Haus erschien die Wohnung Carolyn nicht nur klein – früher hätte sie „kuschelig“ gesagt –, sondern regelrecht beengt.
„Undankbarer Mensch“, schalt sie ihr Spiegelbild in der Mikrowellenklappe. Carolyn stand am Küchentresen und kratzte Winstons halbe Büchse Sardinen in eines von mehreren für ihn reservierten angeschlagenen Porzellanschälchen.
„Riau“, sagte Winston, und es klang nur mäßig betroffen.
„Dich habe ich nicht gemeint“, beschwichtigte Carolyn ihn, stellte sein Abendbrot auf den Boden und sah liebevoll zu, wie er den stinkenden Fisch, den er so gern mochte, auffraß. Sie wusch sich mit hastigen Bewegungen die Hände über der Spüle. „ Ich bin hier die Undankbare. Ich habe alles, was ich brauche, alles, was ein Mensch sich wünschen kann, hier in dieser Wohnung.“ Versonnen hielt sie inne. „Aber, Winston, du hättest das Haus sehen müssen. Es ist riesig. Aber es ist keine von diesen Möchtegern-Villen, sondern anheimelnd. Ich konnte nicht anders, ich musste mir einfach vorstellen, wie es sein würde, dort zu leben.“ Sie breitete die Arme aus und ließ sie wieder sinken. „Wie bescheuert ist das denn?“
Winston, auf sein Feinschmeckererlebnis konzentriert und immerhin eine Katze , antwortete natürlich nicht.
Aber Carolyn, an einseitige Unterhaltungen gewöhnt, ließ sich dadurch nicht beirren. „Du hast recht“, sagte sie. „Es ist völlig bescheuert.“ Sie trocknete sich die Hände ab, ging zum Kühlschrank und nahm einen Becher Hüttenkäse mit Ananasstückchen heraus. Nach einem Blick auf das Haltbarkeitsdatum entschied sie, dass der Verzehr relativ unbedenklichwar, und füllte eine Portion auf einen Salatteller. „Der Mann beschwatzt mich zu einem Ausritt mit ihm, und am Ende bin ich nass bis auf die Haut und zwänge mich in die Kleider einer Frau, die mindestens fünf Zentimeter und eine Kleidergröße kleiner ist als ich. Und: Ich bin drauf und dran, es mit Brody Creed zu treiben . Ich schwöre, wenn er nicht diese Rede über Verantwortung und Grundregeln gehalten hätte, wäre ich wahrscheinlich über ihn hergefallen …“
Das Festnetztelefon klingelte und unterbrach ihren Vortrag.
Ist wohl besser so, dachte sie und griff nach dem Hörer.
„Hallo?“ Sie fauchte beinahe. Sie wollte ihren fragwürdigen Hüttenkäse essen, in ihre eigenen Kleider schlüpfen
Weitere Kostenlose Bücher