Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
ebenso wie Brody und Davis.
Brody stieg auf der Beifahrerseite ein. „Kleinstadt-Klatsch ist eines der wenigen Dinge, die ich während meiner Abwesenheit aus Lonesome Bend nicht vermisst habe“, bemerkte er.
Conner lachte leise, vergewisserte sich im Rückspiegel, ob Davis startbereit war, und fuhr los. „Man redet über dich“, gab er zu. „Aber das heißt nur, dass die Leute Anteil nehmen.“
„Das heißt, kleiner Bruder, dass sie alle Kleingeister sind und zu viel Freizeit haben.“
Darüber musste Conner lachen.
Bessie trottete hinter dem Pick-up her und führte sich immer noch auf wie ein Sünder an seinem ersten Tag in der Hölle. Ihr Gebrüll war sogar über das Motordröhnen des alten Gefährts hinweg zu hören.
Im Stall würden sie Bessie und ihr Kalb in einer Box unterbringen, das Kleine ein, zwei Tage im Auge behalten und wenn nötig den Tierarzt hinzuziehen. Sie hatten das Kalb kopfüber am Berg liegend gefunden. Wahrscheinlich hatte es einen Sonnenstich, doch die größte Gefahr – nämlich hilflos den Raubtieren ausgesetzt zu sein – war vorüber.
In solchen Fällen genügte gewöhnlich ein bisschen liebevolle Pflege. Bessie und ihr kleiner Sohn würden im Handumdrehen wieder draußen auf der Weide beim Rest der Herde sein.
Urplötzlich war Conners heitere Stimmung verflogen, und er wurde todernst. „Gib acht, Brody“, bat er. „Carolyn ist eine tolle Frau, und sie hatte beinahe von Geburt an ein schweres Leben. Ihr wehzutun wäre nicht recht.“
Ihr wieder wehzutun.
Conner hatte das Wort zwar nicht ausgesprochen, doch es hing zwischen ihnen in der Luft.
„Glaubst du, ich will ihr wehtun?“, fragte Brody ärgerlich. Er rutschte auf dem eingerissenen Ledersitz herum, dessen Federn und Polsterung stellenweise sichtbar waren. Davis bestand darauf, Gerätschaften zu benutzen, bis sie in ihre Einzelteile auseinanderfielen.
„Das habe ich nicht gesagt“, erwiderte Conner. „Und wollte es auch nicht andeuten.“
Brody seufzte schwer. „Ich weiß“, sagte er. „Vielleicht bin ich ein bisschen empfindlich, wenn es um Joleen geht. Sie ist ziemlich ausgeflippt wegen meiner angeblichen Beziehung zu Carolyn, und ich fürchte, sie wird Unruhe stiften.“
„Hat sie das gesagt?“
„Gewissermaßen.
Conner überlegte kurz, bevor er fragte: „Hast du eine Beziehung, Brody? Mit Carolyn, meine ich?“
Brody blickte zu seinem Bruder hinüber. „Sagen wir mal, ich hätte gern eine“, antwortete er schließlich. „Aber sie traut mir nicht, und ich kann es ihr nicht mal verübeln.“
„Weiß Gott nicht“, stimmte Conner ihm zu.
Eine Zeit lang herrschte Stille, abgesehen vom Motor des Pick-ups und Bessies Gebrüll.
„Was wolltest du eben damit sagen“, wagte Brody sich dann vor, „dass Carolyn von klein auf ein schweres Leben hatte?“
Darauf blieb Conner so lange stumm, dass Brody nicht mehr mit einer Antwort rechnete. „Sie ist in Pflegeheimen aufgewachsen. Es gibt viele gute Heime und fürsorgliche Menschen, die das Leben der Kinder zum Besseren wenden wollen, aber es gibt auch solche, die einfach nicht mit dem Herzen bei der Sache sind. Von Kim und Tricia weiß ich, dass Carolyn verwiegend mit der zweiten Sorte zu tun hatte.“
Sofort stellte Brody sich Carolyn als dünnes, fohlenhaftes kleines Mädchen vor, groß für ihr Alter, sommersprossig und in Kleidern, entweder aus zweiter Hand oder billig gekauft,wahrscheinlich doppelt so klug wie die anderen Kinder in ihrer Klasse. Das Bild schnitt ihm ins Herz. Dazu aber kam ein gewaltiger Zorn.
„Ist sie misshandelt worden?“
„Eher vernachlässigt, nach allem, was ich gehört habe. Und dann war da die Sache mit dem Filmstar, nachdem du fort warst.“
Der letzte Satz erinnerte Brody an etwas. Als was hatte Joleen Carolyn am Vorabend bezeichnet? Als abgelegtes Liebchen eines Filmstars.
„Was ist passiert?“, fragte Brody verhalten. Der Stall war bereits in Sicht; bald würde Bessie sich beruhigen und das Kalb sich erholen können.
Und dieses grauenhafte Gebrüll würde ein Ende haben.
„Weiß nicht“, sagte Conner, drehte kurz den Kopf und bedachte Brody mit diesem Blick, der immer bedeutete, dass er die Wahrheit sagte. „Zu jener Zeit brodelte natürlich die Gerüchteküche. Carolyn lebte als Kindermädchen im selben Haus, und einige Leute behaupteten, Carolyn hätte eine Affäre mit Clifford Welsh, während seine Frau auswärts irgendeinen Drehtermin hatte.“
Als lebenslänglicher Bewohner eines Glashauses
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