Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
durfte Brody keine Steine werfen, doch die Vorstellung, dass ein anderer Mann – ganz gleich, wer – Carolyn so intim berührt hatte wie er damals, ärgerte ihn trotzdem maßlos.
Er wollte es wieder tun.
„Wenn du raten solltest, ob die Gerüchte der Wahrheit entsprachen oder nicht“, fragte er und behielt Conner im Auge, der sich mittlerweile auf die holprige Bergstraße konzentrierte, „was würdest du sagen?“
Wieder überlegte Conner. Er ließ sich gern Zeit mit seinen Antworten, besonders wenn er die Fragen für bedeutsam hielt. „Ich würde sagen, dass Carolyn sich nicht mit einem verheirateten Mann einlassen würde – und nicht nur, weil siees nicht richtig fände. Sie ist viel zu stolz dafür.“
Brody lachte vor Erleichterung und nicht etwa, weil er irgendetwas lustig fand, packte seinen Bruder kurz am Nacken und drückte und schüttelte ihn kräftig.
„Volltreffer“, sagte er. „Gebt dem Mann eine Kewpie Doll.“
„Eine was?“, fragte Conner mit einem Stirnrunzeln, dass Brody wieder zum Lachen brachte.
„Redewendung, kleiner Bruder, früher bekam man so eine niedliche Puppe als Hauptgewinn auf der Kirmes.“
„Wie auch immer“, brummte Conner.
Inzwischen waren sie angekommen und standen vor der Aufgabe, das kranke Kalb abzuladen. Die arme Bessie schnaufte und prustete nach der Anstrengung.
„Jetzt wird alles gut, mein Mädchen“, hörte Brody seinen Onkel zu der Kuh sagen. „Dein Baby ist außer Gefahr, und du bist es auch.“
Mit epilierten Beinen und frisch gewaschenem Haar trat Carolyn aus der Dusche und wickelte sich in ein Badetuch.
Winston saß auf dem Toilettendeckel und wartete darauf, dass sie aus der Kabine, in seinen Augen vermutlich eine Schreckenskammer, herauskam.
„Siehst du?“, fragte Carolyn und tätschelte ihm den Kopf. „Es ist möglich, nass zu werden und zu überleben.“
„Riau“, widersprach Winston und sprang mit wütend gebauschtem Schwanz von der Toilette. Sein Kopf war dort feucht, wo Carolyn ihn berührt hatte.
Sie lachte und wartete darauf, dass der beschlagene Spiegel über dem Waschbecken wieder klar wurde, damit sie Feuchtigkeitscreme auftragen konnte. Das Make-up – sie hatte nicht vor, viel aufzulegen – konnte warten. „Zwei Punkte von der Date-Vorbereitungsliste sind nun schon abgehakt. Beine epiliert, Haare gewaschen. Nun zur Gesichtsmaske.“
Sie öffnete den Medizinschrank und spähte hinein.
Ein Päckchen Heftpflaster. Eine Flasche Mundspülung, fast leer. Zahnpasta, eine Bürste, eine Packung Wattepads und drei Tampons.
Nicht ein einziger Bestandteil einer Gesichtsmaske.
Na gut.
Blieb noch das Nickerchen.
Carolyn überließ den beschlagenen Spiegel sich selbst und ging in ihr Schlafzimmer. Dort warf sie sich aufs Bett und blieb liegen, alle viere von sich gestreckt.
Nein.
An Schlaf war nicht zu denken. Sie war viel zu aufgedreht, um eindösen zu können. Außerdem war es helllichter Tag.
Aber es war noch zu früh, um das pinkfarbene Kleid von der Wäscheleine zu nehmen, es leicht mit Stärke einzusprühen und rasch überzubügeln.
Seufzend stand sie auf und zog ihren Bademantel an, doch er war zu warm, und sie tauschte ihn gegen ein übergroßes T-Shirt.
Das musste erst einmal reichen.
Carolyn nahm den Zigeunerrock vom Haken an ihrer Schlafzimmertür und inspizierte ihn am ausgestreckten Arm. Sie hatte gehofft, den Wunsch, ihn zu behalten, inzwischen überwunden zu haben, aber das war eindeutig nicht der Fall.
Sie konnte ihn im Handumdrehen auf ihre Größe umändern, doch das kam nicht infrage. Der Rock war ganz sicher nicht für ein Grillfest im Garten geeignet – und auch nicht für ihre Verabredung mit Brody am Samstag.
In dieser Gegend gab es nur ein Kino, und das lag in der nächstgelegenen Stadt, in Wiley Springs. Das nächste vornehme Restaurant, in dem man vermutlich in einem zauberhaften Elaborat aus Schleifchen und Perlen erscheinen konnte, lag in der Nähe von Denver.
Plötzlich entmutigt, hängte Carolyn den Rock wieder an den Haken. Sie hatte noch ein wenig an ihm arbeiten wollen,doch die Aussicht verlockte sie nun überhaupt nicht mehr.
Blieben noch die Schürzen. Sie und Tricia konnten ohnehin kaum mit der Nachfrage Schritt halten.
Jippie, dachte sie säuerlich. Schürzen.
Sie beschloss, es noch einmal mit einem Schläfchen zu versuchen. Dieses Mal klappte es.
Als sie von der kalten, stupsenden Nase einer Katze geweckt wurde, die ihr Abendbrot verlangte, war es nach fünf Uhr
Weitere Kostenlose Bücher