Die Creeds: Wo die Hoffnung lebt
gleichgültig“, konterte Tricia im Brustton der Überzeugung.
Carolyn wäre sich ihrer selbst und ihrer Wahrnehmung gern ebenso sicher gewesen, doch das schien nicht Teil ihres persönlichen Erbguts zu sein. Bei der Erinnerung an das ursprüngliche Gespräch in der Küche mit Brody, als die Funkenzwischen ihnen nur so geflogen waren, versteifte sie sich. „Du hast nicht gehört, wie er seine blöden Grundregeln aufgestellt hat“, sagte sie und gab mit dieser Bemerkung mehr preis, als sie jemals beabsichtigt hatte.
„Keinen Sex?“, fragte Tricia, die sich unübersehbar das Lachen verbiss.
„ Und wir dürfen uns beide mit anderen treffen, wenn wir wollen.“
Tricias Miene änderte sich abrupt. „Das hat Brody gesagt?“
Carolyn nickte.
„Dieses Stinktier“, sagte Tricia leise.
Carolyn sah sie an, als wäre das Wort bei Weitem nicht grob genug. „Wenn du etwas weißt, das ich nicht weiß, Tricia Creed, dann sag’s mir lieber“, verlangte sie.
„Wahrscheinlich besteht da gar kein Zusammenhang“, wiegelte Tricia ab.
„Raus damit“, drängte Carolyn. Ihren Tee hatte sie völlig vergessen.
„Joleen ist wieder in der Stadt, das ist alles.“
Joleen ist wieder in der Stadt – das ist alles?
Zwar wusste Carolyn, dass sie kein Recht hatte, sich wegen dieser Neuigkeit aufzuregen, aber sie tat es trotzdem.
Liebevoll tätschelte Tricia Carolyns Hand. „Das eine hat bestimmt gar nichts mit dem anderen zu tun“, sagte sie und lächelte wieder.
Carolyn sah sie nur an.
„Joleen ist in Lonesome Bend aufgewachsen“, erklärte Tricia rasch. „Ihre Familie lebt hier. Sicherlich ist sie deswegen zurückgekommen, und du weißt ja, sie bleibt nie lange.“
„Ich hätte wissen müssen, worauf er hinauswollte“, murmelte Carolyn. „Im Grunde habe ich es ja gewusst, aber ich habe mir den Luxus gegönnt, es zu ignorieren.“
Dieses Mal war Tricia diejenige, die nichts erwiderte. Es schien ihr die Sprache verschlagen zu haben.
„Brody wusste, dass Joleen auf dem Weg hierher war“, fuhr Carolyn fort. „ Deshalb sein Vorschlag, dass wir beide uns mit anderen treffen können. Ich wüsste gern, ob er und Joleen auch Grundregeln aufgestellt haben. Kein Sex? Das bezweifele ich!“
„Carolyn …“
„Wenn Brody sich auf diese Art an die Regeln halten will, schön.“ Carolyn schob ihren Stuhl zurück und stand auf. „Tatsache ist, ich gehe jetzt nach oben, fahre meinen Laptop hoch und rufe meine Mailbox bei Friendly Faces ab.“
„Carolyn, du darfst nicht … Brody würde nie …“ Tricia brach mit einem tiefen Seufzer ab und schlug beide Hände vors Gesicht.
Doch Carolyn ließ ihre Freundin am Tisch sitzen und sprintete geradezu zur Innentreppe.
Sie führte sich auf wie eine Verrückte, das wusste sie.
Das Wissen änderte kaum etwas an der Tatsache.
Während der Laptop hochfuhr – er war alt und daher langsam –, stapfte Carolyn in der Küche auf und ab. Winston miaute und wuselte zwischen ihren Füßen umher.
Schließlich ließ sie sich auf den Stuhl vor ihrem Schreibtisch nieder. Besser, sie saß, statt die Katze zu zertreten oder über das närrische Geschöpf zu stolpern und sich den Hals zu brechen.
Die Website von Friendly Faces öffnete sich wie von Geisterhand selbsttätig. Und Carolyn riss die Augen auf. Das Mailbox-Icon – ein gelber Briefkasten, in ländlichem Stil mit rotem Fähnchen – pulsierte wie ein Herz.
Sie atmete tief durch und klickte die Mailbox an.
Robert aus Telluride.
Buck aus Colorado Springs.
Sam aus Aspen.
Insgesamt erwarteten sie dreiundvierzig Meldungen.
Fassungslos blickte Carolyn auf Winston herab, der jetztwachsam wie eh und je neben ihrem Stuhl auf dem Boden saß.
„Das Foto von mir war nicht mal besonders gut“, beschwerte sie sich bei ihm.
Unten hörte sie Tricia in Nattys Küche hantieren.
Carolyn seufzte, erhob sich von ihrem Stuhl und ging zurück nach unten zu ihrer Freundin.
„Entschuldige“, sagte sie. „Ich meine, mein Verhalten eben.“
Inzwischen hatte Tricia die Teetassen abgewaschen und zum Trocknen aufs Abtropfbrett gestellt. Sie drehte sich lächelnd zu Carolyn um. „Atme tief durch, Carolyn. Alles wird gut.“
„Ich habe dreiundvierzig Meldungen auf meiner Friendly-Faces -Seite“, verkündete Carolyn matt. „ Dreiundvierzig . Tricia, was soll ich tun?“
„Sie lesen?“, schlug Tricia sanft vor. „Ein paar beantworten, andere löschen?“ Sie stemmte sich die Hände ins Kreuz und streckte sich zufrieden. „Es ist
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