Die Cromwell Chroniken 02 - Grabes Hauch
spürte eine kurze tröstende Berührung am Arm und Flint lächelte ihr aufmunternd zu.
„Ich denke, dass du deine fünf Leute für das Ritual beisammen hast.“
Die anderen nickten entschlossen.
Cat lächelte matt.
Na, wenigstens etwas.
Ruhig atmend lag Katharina da. Um sich herum nahm sie die Anwesenheit der anderen wahr. Spürte die pulsierende Macht der Magie im Raum. Fühlte, wie die Linien des Ritualkreises sich in dünne Rinnen wandelten und die Essenz in ihre Richtung floss, sie kräftigte, sie belebte und sie führte.
Wie fühlt sich Essenz eigentlich an , sinnierte sie. Weder warm noch kalt. Es hat eine stimulierende und berauschende Wirkung, jedoch nicht wie Alkohol oder Drogen. Es ist … ganz anders.
Cat gab den Versuch auf, dieses Gefühl näher definieren zu wollen. Stattdessen erlaubte sie der Essenz, sie zu tragen. Sie konnte spüren, dass ihr Geist immer träger wurde – und schließlich passierte sie die Grenze.
Auch das war ein ganz besonderer Vorgang. Wenn sie alleine war, so hatte sie Visionen im Schlaf. Im Ritualkreis verhielt es sich jedoch anders. Die fünf Personen, die sich an den fünf Spitzen des fünfzackigen Sterns niedergekniet hatten, versorgten die Person in der Mitte mit Essenz. Sie erlaubten ihrer eigenen Essenz, von den magischen Linien zum Medium transportiert zu werden. Auf diese Weise glitt Katharina viel leichter in die Traumwelt. Sie brauchte dafür noch nicht einmal einzuschlafen, verlor nie das Bewusstsein, sank nie tiefer als in einen wohligen Halbschlaf. Es war ein sehr heimeliges, angenehmes Gefühl. Es stand im krassen Gegensatz zu dem Empfinden, welches Cat morgens nach einer „durchträumten“ Nacht überkam.
Eine fremde Macht griff nach ihr und die Vision begann. Alles um sie herum wurde schwarz. Wieder hatte sie das unangenehme Gefühl, sich nicht regen zu können.
Als wäre ich eingesperrt.
Doch was war es, was sie festhielt? Sie musste es wagen, erneut in die fremde Person einzudringen und sich auf die gleiche physische Ebene zu begeben. Nur so würde sie deren Empfindungen teilen und die Türen aufschließen, welche ihr im Moment noch verschlossen blieben. Katharina wusste, dass sie die letzten Male immer sofort Schmerz verspürt hatte, sobald sie es wagte, diesen Weg zu beschreiten.
Diesmal muss es anders sein. Diesmal trägt mich der große Essenzvorrat. Die anderen spenden mir Kraft. Diesmal kann ich mich von dem Schmerz abschotten.
Sie hoffte es zumindest – und sie hatte recht.
Als sie sich langsam und beständig auf die Schwingungen der anderen Person eingelassen hatte, spürte sie einen kurzen, alles verzehrenden Schmerz – doch dann verschwand er. Das Gefühl, das an seine Stelle trat, hatte sie noch nie verspürt.
Meine Güte! Was ist das? Alles fühlt sich so … falsch an.
Katharina konnte es nicht näher deuten. Sie war immer noch blind. Schwärze hüllte sie ein. Doch etwas anderes beunruhigte sie gegenwärtig viel mehr: Sie konnte immer noch nichts spüren.
Überhaupt nichts. Wie ist das möglich? Ich müsste doch nun die gleichen Empfindungen haben wie …
Ein schrecklicher Gedanke drang in ihr Bewusstsein.
Ich muss etwas oder in etwas sein, was nichts empfindet. Oh nein! Was, wenn ich gar kein Mensch bin?
Sie wusste nicht, wie sie auf solch eine Idee gekommen war, doch das war die einfachste Lösung. Sie war kein Mensch – oder zumindest kein gewöhnlicher. Also konnte sie nicht fühlen, was um sie herum vorging.
Doch dies warf eine ganz andere Frage auf: Wenn ich kein Mensch bin, was bin ich dann?
Cat wusste zu wenig über Visionen, um diese Frage zu beantworten. Wie hätte sie auch je etwas darüber lernen sollen? In ihrer Familie kannte sich niemand mit dieser Gabe aus und ihre Eltern hatten sie immer bewusst fern von den Mitgliedern des SAPIENTIA ORACULARUM gehalten, damit kein Verdacht auf ihre Fähigkeiten gelenkt wurde.
Was bin ich?
Katharina war bisher immer davon ausgegangen, dass sie lediglich in die vergangenen oder zukünftigen Episoden eines Menschen eindringen konnte. Bis jetzt war es immer so gewesen. Seit ihrer ersten Vision.
Wieso ist es jetzt anders?
Dieser Umstand verwirrte und verunsicherte sie. Sie spürte, wie sich die Bindung zur Vision leicht lockerte.
Ich muss mich beruhigen! Ich muss fokussiert bleiben und mich ganz auf die Vorgaben konzentrieren, die mir diese fremde Macht schickt!
Wieder versuchte sie sich ganz langsam zu bewegen. Nur zögerlich, damit sie die feinen Bahnen der Vision
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