Die Cromwell Chroniken: Kaltes Feuer
dieser Satz kommt. Dabei ist der doch eindeutig das Wichtigste bei diesem Lied. Der Höhepunkt. Meint ihr, dass etwas mit ihren Eltern passiert ist?“
Das Mädchen hatte aufgehört, sich zu bewegen. Sie stand starr da. Die Augen geweitet. Valerian war kein Menschenkenner und er wusste definitiv nichts über Kinder, doch selbst er sah ihre Angst.
Linda sprach seinen Gedanken laut aus: „Ich kann Furcht bei ihr erkennen. Also versteht sie uns doch …“
Valerian nickte und löste seinen Blick nicht von dem kleinen Geist. Nur Flint erinnerte sich, dass Linda diese Bewegung nicht sehen konnte.
„Ja, sie versteht, was wir sagen.“
Linda begann nun wieder, in ihrer Kindergärtnerinnen-Stimme zu sprechen: „Ist etwas mit deinen Eltern passiert, Kleines? Etwas Schlimmes?“
Das Mädchen wich Schritt für Schritt vor ihnen zurück. Dabei schien es nicht einmal zu bemerken, dass es durch das echte Schaukelpferd hindurchlief.
„Du brauchst keine Angst zu haben! Hier bei uns kann dir gar nichts passieren.“
Das Mädchen wirkte immer noch verängstigt. Sie sah beunruhigt von einem zum anderen und machte den Eindruck, als ob sie am liebsten unter ihre Bettdecke gekrochen wäre.
„Wir sollten mit ihren Eltern sprechen“, wandte sich Flint an die Gruppe.
„Geister haben Eltern?“, fragte Valerian ungläubig.
Flint atmete tief durch. „Du stellst dir Geister immer als etwas Fremdes vor, das sind sie aber nicht. Geister sind verstorbene Menschen. Sie denken wie Menschen, sie fühlen wie Menschen – und sie haben das gleiche soziale Gefüge wie vor ihrem Tod. Na gut, vielleicht etwas reduziert, aber trotzdem … Wenn die Eltern nicht zur nächsten Ebene gegangen sind, dann könnten wir sie vielleicht beschwören.“
Er betrachtete seine zwei Mitstudenten kritisch.
„Nun, vielleicht nicht wir … Aber der Professor mit seinem Kurs könnte es schaffen.“
Valerian schnitt eine Grimasse. „Sag doch einfach laut, dass wir unfähig sind!“
„Ihr seid unfähig.“
„Toll. Danke.“
„Keine Ursache“, erwiderte Flint trocken.
„Ich denke, wir fragen Lichtenfels, ob sie die Eltern schon einmal beschworen haben“, unterbrach Linda den allgemeinen Austausch von „Nettigkeiten“ und machte sich auch schon auf den Weg. Valerian war verblüfft, wie zielsicher sie sich durch den Raum und genau auf den Professor zubewegte.
Vielleicht strahlt er eine radioaktive Aura aus , dachte er und musste breit grinsen. Hätte Valerian geahnt, wie nahe er damit der Wahrheit kam, sein Grinsen wäre ihm vergangen.
Es verging nicht viel Zeit, da kehrte Linda zu ihnen zurück.
„Und?“
„Was hat er gesagt?“
„Er sagte, dass die Eltern nicht beschworen werden könnten, weil sie in der Anderswelt seien“, antwortete Linda mit ernster Stimme.
„Moment! Habt ihr nicht vorhin gesagt, dass die Anderswelt die Hölle ist?“, fuhr Valerian dazwischen.
Er blickte in zwei düstere Gesichter.
„Das ist richtig.“
„Und was heißt das jetzt?“ Valerian sah die beiden verwirrt an.
„Na, was wird das schon heißen?“, brauste Linda auf.
„Diese zwei …“ Sie musste das Wort herunterschlucken. „Sie haben etwas Schreckliches getan! Und hier steht ein eingeschüchtertes totes Mädchen und kann nicht zur nächsten Ebene, weil sie sich zu sehr fürchtet. Was meinst du wohl, was sie gemacht haben?“
Valerian hatte Linda noch nie so wütend erlebt, aber er konnte es gut nachempfinden. Der Gedanke, dass dieses kleine Wesen durch seine eigenen Eltern umgekommen sein könnte, war schrecklich und er gönnte ihnen die Hölle aus tiefstem Herzen. Es war ihnen vielleicht möglich gewesen, solch eine schlimme Tat zu begehen, doch für die Ewigkeit hatte die Gerechtigkeit obsiegt.
Unrecht zahlt sich nicht aus. Ein Glück!
Erst jetzt begriff er, wie wichtig ihre „Strafarbeit“ war. Wenn sie es nicht schafften, das Mädchen zu retten, dann käme sie nie in den Himmel. Valerian hatte zwar keine genaue Vorstellung davon, was der Himmel sein mochte, doch wenn die Hölle das Schlechte war, dann musste der Himmel das Gute sein. Denn da würde man es immerhin für die Ewigkeit aushalten müssen. Vor einem Jahr hätte er noch jeden ausgelacht, der ihm erzählt hätte, dass er nach seinem Tod in den Himmel oder in die Hölle käme. Doch hier stand der (lebende?) Beweis dafür, was geschah, wenn man weder zum einen noch zur anderen fand. Linda hatte Recht. Diese Eltern mussten wirklich etwas Schreckliches getan haben. Doch es
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