Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
Essenz zu konzentrieren und Gegenstände zu identifizieren.“
„Äh … Und das heißt, ich muss jetzt zur Salzsäule erstarren, oder wie?“
Tom klang so wenig begeistert, dass Linda kichern musste.
„Aber ja, musst du! Ich brauch das für meine Prüfung!“
„Hier wird man nur ausgenutzt!“, moserte er. „Ständig muss man dumme Sachen machen, um der Schwester bei ihrer Prüfung zu helfen. Unsereiner musste das noch komplett alleine bewerkstelligen, aber heute? Da wird einem jedes bisschen Arbeit abgenommen. Hach, ja! Es ist einfach alles nicht mehr das, was es mal war. Nicht einmal vor der Ordensprüfung hat diese schreckliche wertmindernde Veränderungswelle haltgemacht. Schrecklich! Einfach schrecklich!“, verkündete er theatralisch.
Linda lachte laut. „Jetzt hab dich nicht so!“
„Meine Hand wird schon ganz taub!“, jammerte er.
„Das kann gar nicht sein, du hältst es ja erst seit fünf Sekunden!“
„Zehn! Mindestens!“
„Ist es denn so schwer?“
„Höllisch!“, behauptete er steif und fest.
„Dann leg die Hand auf einem Bein ab. Ich muss nur das Objekt sehen können. Okay?“
Schweigen.
„Okay?“, wiederholte sie.
Schweigen.
„Was ist jetzt schon wieder? Ist dein Mund auch taub?“, verlangte Linda zu wissen.
„Sagtest du gerade, du willst das Objekt sehen ?“, hakte er behutsam nach.
„Ja?“
„Hm.“
„Was?“
„Minipig, ich weiß nicht, wie ich es dir sagen soll … aber … du bist blind.“
Tom hatte in so einer übertriebenen Ich-bin-dein-einfühlsamer-Seelenklempner-Stimme gesprochen, dass Linda unweigerlich lachen musste.
„Sehr witzig, du Komiker! Ich will mich auf deine Essenz konzentrieren. Das ist alles.“
„Aha.“
„Ja. Und dann werde ich sehen, wo ich deine Essenz nicht sehe – und da ist dann das Objekt. Ist doch logisch.“
Sie bemühte sich, cool zu klingen.
„Logisch“, gab ihr Bruder trocken zurück.
Kapitel 41
Guten Abend, Herr Petzold, ich …“
Weiter kam Graciano nicht. Der genervte Patient unterbrach ihn sofort.
„Oh nein, nicht Sie schon wieder!“
Der Student blinzelte verwirrt.
„Aber wir kennen uns doch noch gar nicht. Ich bin Graciano Fernandez.“
„Sie sind einer dieser Seelenklempner“, kam es vorwurfsvoll.
„Seelsorger“, berichtigte der junge Wächter.
„Was auch immer.“
Graciano erkannte, dass das Gespräch so keinen guten Verlauf nehmen würde, deshalb startete er einen neuen Versuch.
„Ich wollte nur bei Ihnen vorbeischauen, um zu hören, ob ich Ihnen vielleicht etwas aus der Bibel …?“
„Bleiben Sie bloß weg mit dem Buch!“, herrschte ihn der Mann in den Fünfzigern an. Sein Gesicht spiegelte tiefste Abscheu wider und er hielt beide Hände abwehrend vor sich.
Irgendwie läuft das nicht so wie geplant , stellte der Wächter resigniert fest. Doch er wollte Mario Petzold noch eine Chance geben.
„Dann möchten Sie jetzt also lieber nichts von Gott hören?“, fragte er zögernd.
„Was? Gott? Ich werde Ihnen mal was sagen! Wenn Sie in Ihrem Leben etwas wirklich wollen, wenn Sie es sich von ganzem Herzen wünschen – dann ist Gott der Kerl, der Sie ignoriert! Und wenn Sie es dann endlich haben, dann nimmt er es ihnen wieder weg! Warum also sollte ich von dem was hören wollen?“
„Weil er Sie liebt“, antwortete der Student schlicht.
Obwohl er wusste, dass er recht hatte, klangen die Worte in seinen eigenen Ohren lahm und schal.
„Wenn Gott mich wirklich liebt, dann soll er mich gesund machen!“, sagte der Patient fordernd.
Graciano musste nicht erst in seine Akte schauen. Er wusste bereits, welchen Krebs Herr Petzold hatte und dass die Krankheit tödlich verlief. Er würde den nächsten Jahreswechsel nicht mehr erleben.
Was sagt man so einem Menschen? Für ihn sind Worte doch nichts weiter als leere Hülsen. Das kann ihn doch gar nicht berühren.
Graciano wusste es nicht. Er konnte nur dastehen und erdulden, dass eine Woge der Hilflosigkeit über ihn hereinbrach.
Nachdem Graciano noch zwei eher halbherzige Versuche unternommen hatte, Mario Petzold zu einem Gespräch zu bewegen, war er aus dem Zimmer des Patienten geflohen. Seufzend schlich er die Treppen nach unten.
Ein wenig Bewegung wird mir guttun, dachte er.
Unten angekommen, spazierte er zwischen den Magnolienbäumen des Parks hindurch und sah zu, wie der Tag sich langsam dem Ende neigte. Die letzten Sonnenstrahlen wollte er noch auf einer der Bänke genießen. Er ließ sich erschöpft darauf nieder und
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