Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
starrte trübsinnig vor sich hin. Aus dem Augenwinkel nahm er plötzlich eine Bewegung wahr. Etwas Kleines, Goldenes schlenderte auf ihn zu. Als der junge Wächter den Kopf drehte, entdeckte er eine rot getigerte Katze, die ebenfalls die Sonne einfangen wollte. Sie setzte sich auf den letzten Fleck am Boden, der noch von ihren wärmenden Strahlen erhellt wurde. Dort rekelte sie sich genüsslich und schloss dösend die Augen. Graciano beobachtete sie mit halbem Interesse. Ihm hingen immer noch die Gespräche des Tages nach. Eines bedrückender als das andere.
Wenn ich doch mal einem einzigen Menschen begegnen würde, der sich tatsächlich für Gott interessiert. Es ist nicht zu glauben! Da erschafft er ein Volk, lässt es groß und größer werden, verspricht ihnen, immer für sie zu sorgen – und was machen sie? Er hat sogar seinen eigenen Sohn für sie sterben lassen – und was ist? Keinen kümmert das! Keinen interessiert es, was er sich für ihr Leben wünscht. Stattdessen toben sie sich so lange in ihren Genusssüchten aus, bis es sie ihre Gesundheit kostet.
Graciano hatte einen Bericht der Weltgesundheitsorganisation gefunden. Darin war mittels Studien belegt worden, dass im 20. Jahrhundert mehr als einhundert Millionen Menschen an den Folgen des Rauchens gestorben waren.
Alle sechs Sekunden ein Toter , erinnerte sich der Student an die Beschreibung in dem Artikel. Wenn das die Leute nicht genug erschüttert, sich mehr um ihre Gesundheit zu kümmern, was dann?
Sein Blick glitt am Krankenhausgebäude nach oben. Auf den Balkons tummelten sich die Raucher. Unter ihnen entdeckte er Mario Petzold.
Graciano seufzte und schüttelte den Kopf.
„Das darf ja wohl nicht wahr sein“, murmelte er leise vor sich hin.
Zwei goldene Augen sahen ihn verständnisvoll an. Der junge Wächter streckte dem Stubentiger die Hand entgegen und das Tier ließ sich dazu herab, herüberzuschlendern und ihm sein weiches Köpfchen zum Streicheln hinzuhalten. Gemütliches Schnurren ertönte, als Graciano die Katze hinter den Ohren kraulte.
„Du hast es gut. Du musst dich nicht um so was kümmern“, erklärte er seinem pelzigen Begleiter.
Das anhaltende Schnurren schien ihm recht zu geben.
Die junge Hexe hatte sich in den Kopf gesetzt, an diesem Abend mehr über ihren schweigsamen Begleiter herauszufinden.
Okay, so schweigsam ist er nicht, aber er gibt auch nichts von sich preis . Na ja, das ist wohl nicht weiter verwunderlich, ich erzähle ja auch nichts von mir.
Tamara war mit ihrer Familie ungefähr so zufrieden wie andere Heranwachsende auch.
Also durchwachsen …
Deshalb war die eigene Familie nicht Thema Nummer eins. Trotzdem versuchte sie, so viel wie möglich über Joe herauszufinden, ohne dass er den Eindruck bekam, dass sie bohrte.
Total einfühlsam.
Wer aber Tamaras Einfühlsamkeit kannte, der wusste, wie auffällig sich ihre Fragen für Joe anhören mussten. Das Gespräch verlief daher in verwirrend erfolglosen Bahnen. Das einzige, was Tamara erfuhr, war, dass Joe aus der Nähe von Hannover kam und den Süden Deutschlands erkunden wollte.
Also nicht wirklich etwas Neues , dachte sie unzufrieden.
Diese Unzufriedenheit hielt aber nicht lange an, dazu war Joes Gegenwart zu erfrischend. Er hatte eine ganz andere Art zu reden und sich zu bewegen als die meisten Männer in seinem Alter, die Tamara sonst kannte. Valerian kümmerte sich nur um seine nächste Mahlzeit, Cendrick verbrachte zu viele Stunden vor dem Spiegel, Graciano bekam kaum seine Nase aus der Bibel und Flint war eben Flint.
Joe ist anders.
Und das gefiel Tamara unbeschreiblich gut. So gut, dass sie bereitwillig ihre Sitzdecke mit ihm teilte. Schließlich überließ sie ihm nach zwei gescheiterten Versuchen auch nur zu gerne die Aufgabe, ein Feuer für heißes Wasser zu machen.
Campen kann auch schön sein. Ist zwar sehr selten der Fall, aber ich habe es definitiv gut getroffen.
Kapitel 42
Flint schlief ausgesprochen schlecht. Er hatte am Abend noch stundenlang wach gelegen und über das Gespräch mit Katharina nachgedacht.
Sie wird doch nichts Unüberlegtes tun, oder? , fragte er sich.
Er machte sich Vorwürfe.
Ich hätte ihr nichts sagen sollen. Katharina ist es zuzutrauen, dass sie ihre Sachen packt und sofort hierherkommt. Ich will nicht, dass sie ihre Prüfung gefährdet. Nicht wegen mir. Nicht wegen dieser Sache. Hätte ich doch bloß den Mund gehalten!
Im Licht des neuen Morgens sah seine Situation jedoch schon wieder hoffnungsvoller
Weitere Kostenlose Bücher