Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
Gefühl, wenn man nicht das bekommt, was man will. Habe ich recht, Herr Wagner?“
Er hatte mit einer seidenweichen Stimme gesprochen.
Aha, jetzt kommt er wieder mit dieser Tour!
„Nein, nicht unbedingt“, gab Valerian verstimmt zu.
„Sehen Sie, so geht es mir mit Ihnen. Ich will etwas und bekomme es nicht. Vielleicht ist es ganz gut, dass Sie ein wenig von Ihrer eigenen Medizin …“
Er schob sich den letzten Teil des Riegels in den Mund, kaute und schluckte.
„… kosten“, beendete er schließlich den Satz.
Der Kerl ist ein richtiges Aas!
Flint war mehr als zufrieden mit sich. Er hatte Fowler und Dristi mit seiner Rede überzeugen können. Wenn er ehrlich war, dann hatte er nicht damit gerechnet, dass alles so glimpflich ablaufen würde.
Man darf ja auch mal Glück haben.
Fast schon beschwingt schritt er am Nachmittag die Treppe zu Desmondos Büro herab. Sich gegen die zwei älteren Magier im Gespräch behaupten zu müssen, hatte ihm das gegeben, was er zuvor nicht gehabt hatte: gute Argumente, warum er diese Prüfung erfolgreich hinter sich bringen würde. Das stimmte ihn zuversichtlich.
Als Flint erneut bei Professor Desmondo eintrat, war der Mann immer noch damit beschäftigt, Unterlagen zu begutachten und zu bearbeiten. Er musterte seinen Schützling prüfend, ehe er sich erhob.
„Können wir fortfahren oder muss ich davon ausgehen, dass die Prüfung unterbrochen wird?“, wollte er von dem Studenten wissen.
Flint schüttelte resolut den Kopf.
„Es sollte keine Verzögerungen mehr geben, Professor.“
Dieser hob die Brauen, beließ es jedoch bei der Antwort.
„Gut, dann machen wir weiter. Wenn Sie bitte Platz nehmen möchten?“
Flint legte sich auf die Couch und schloss die Augen. Er gönnte sich eine Minute, in der er einfach nur so dalag und sich für das wappnete, was er gleich sehen – und noch schlimmer – fühlen würde. Doch seine Courage war seit dem Gespräch heute Morgen wieder gewachsen.
Als sich sein flatternder Puls ein wenig beruhigt hatte, gab er Desmondo das Zeichen zum Beginn.
„Ich werde jetzt gleich bis zehn zählen. Wenn ich bei zehn angekommen bin, dann gelangen Sie zu Ihrer schmerzhaftesten Erinnerung.
Eins.
Zwei.
Drei.
Vier.
Fünf.
Sechs.
Sieben.
Acht.
Neun.
Zehn.
Wo befinden Sie sich, Herr Maienbach?“
Flint wusste es nicht, um ihn herum herrschte tiefe Dunkelheit. Als er langsam die Augen öffnete, meinte er, dass die Zeit stillstehen würde. Wie in Zeitlupe nahm er den vollen Umfang der grauenhaften Szene wahr, die sich vor ihm ausbreitete: Seine Mutter lag blutüberströmt auf dem Fußboden des Schlafzimmers. In ihrer Brust steckte der hölzerne Knauf des großen Küchenmessers. Sie versuchte ihn zu fixieren, doch ihr Augenlicht war gebrochen. Schock und Traurigkeit lagen in ihren Zügen. In dem Moment wusste Flint, dass sich dieser Anblick für immer in seine Gedanken eingebrannt hatte. Seine Knie wurden weich und er hatte das Gefühl, die Welt müsse jeden Moment untergehen.
„Mama?“, hauchte er mit tränenerstickter Stimme.
Doch es kam keine Antwort. Es würde nie wieder eine kommen. Flints Mutter war tot. Still lag sie da. Die gewaltsamen Emotionen hatten ihr Antlitz verlassen. Ihre Züge waren ruhig und von malerischer Schönheit.
Nein! Das kann doch nicht sein!
Ein leises Schluchzen entrang sich seiner Kehle, als ihn mit voller Wucht Trauer und Schuldgefühl trafen. Sie waren so stark, dass er meinte, nicht länger atmen zu können.
Flint blickte seine Mutter an – so lange wie noch nie in seinem ganzen Leben. Sein Fluch hatte keine Wirkung bei den Toten. Zum ersten Mal sah er seine Mutter so, wie alle anderen sie gesehen hatten. Mit ihrem leicht gewellten Haar, den sanften Linien und der weichen Haut. Ihr Gesicht wurde nicht mehr vom „Blick der Wahrheit“ verzerrt. Er wollte seine Mutter noch ein letztes Mal berühren. Noch einen letzten Hauch ihrer Wärme spüren, ehe diese für immer verschwand.
Ein letztes Mal …
Flint spürte den Stich in seinem Herzen, ausgelöst von dieser schrecklichen Erkenntnis. Es war, als müsse er mit ihr sterben. Er hob seine Hand, um sie zu berühren, doch etwas stimmte nicht. Da war etwas, was nicht passte. Da war etwas Fremdes.
Sein Blick senkte sich langsam und nach einer Weile wusste er, was ihn irritiert hatte: Seine Hand war feucht. Feucht von warmem Blut.
Kapitel 49
Cendrick hatte sich bereits innerlich darauf eingestellt, wieder Kommilitonen mit Nervenzusammenbrüchen
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