Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
war er nicht dem Paradies nah – diesmal versank Graciano in den Fluten der Hölle.
Graciano nahm seine Umgebung nur noch wie im Traum war. Er trat zur Seite, als man ihm sagte, er würde den Weg versperren. Unbeweglich stand er nah bei der Wand und rührte sich nicht mehr. Er konnte nicht mehr denken, nicht mehr fühlen. Alles in ihm schien plötzlich abgestumpft zu sein. Das Hochgefühl, das ihn noch vor Kurzem begleitet hatte, war fort – ausgelöscht. Die Realität hatte ihn eingeholt und es war ein schmerzhafter Aufprall gewesen. Benommen starrte er vor sich hin und konnte es nicht fassen.
Habe ich tatsächlich den Falschen gerettet? Wie konnte das nur passieren?
Doch dann kam ihm in den Sinn, wer die Rettung geschickt hatte, und er musste seine Frage korrigieren: Wieso hat Gott diesen einen Mann gerettet? Warum nicht den anderen? Hätte der es nicht viel mehr verdient? Er war doch unverschuldet an Krebs erkrankt.
Noch während Graciano da stand, drangen die Worte zweier Pflegerinnen an sein Ohr.
„Er war noch so jung“, sagte die eine.
„Hast du gewusst, dass er zwei Kinder hat?“
„Nein, wie schrecklich! Die arme Frau!“, entgegnete die erste voller Mitgefühl.
„Das ist es ja, es gibt keine Frau. Sie ist bei der Geburt des zweiten Kindes gestorben. Er war alleinerziehender Wittwer. Hat die zwei Würmchen ganz ohne Hilfe versorgt.“
Graciano hörte das Klappern von Dosen und wusste, dass die beiden Medikamente richteten.
„Wie alt sind die Kinder denn?“
„Zwei und vier Jahre alt, glaube ich.“
„Oh nein, die Armen! Was passiert denn jetzt mit ihnen? Gibt es noch andere Verwandte?“
„Nein, soviel ich weiß, ist da niemand. Die Kinder waren während seines Krankenhausaufenthaltes bei einer Nachbarin, aber die ist selbst schon im Rentenalter. Vermutlich kommen sie in ein Heim oder zu Pflegeeltern. Zu irgendjemandem müssen sie ja.“
Die andere seufzte schwer.
„Das ist so traurig. Da gibt es welche, die ruinieren sich durch das Rauchen ihre Gesundheit – und wen erwischt es? Den alleinerziehenden Wittwer. Und da soll man noch an Gerechtigkeit glauben …“
„Hat was“, stimmte die zweite zu.
Graciano konnte nicht länger zuhören. Er drohte innerlich zu zerreißen. Mit schnellen Schritten ging er zum Treppenhaus. Er wollte nur noch eines: fort von hier, raus aus diesem Haus und weit weg von allem, was ihn an die letzte halbe Stunde erinnerte! Er meinte, sein Herz müsse bluten, so sehr schmerzte es in seiner Brust.
Kapitel 51
Flint horchte auf. Er hatte ein lautes Poltern im Schlafzimmer seiner Eltern gehört.
Was ist denn da los? , wunderte er sich.
Im restlichen Teil der Wohnung war es ruhig. Hatte er nicht gerade vorhin noch seinen Vater auf der Couch schlafen sehen? Normalerweise wachte er erst viel später auf. Irgendetwas stimmte nicht.
Was soll’s? Ich ignoriere es. Wird schon wieder aufhören.
Doch sein Inneres wollte ihn nicht mehr zu Ruhe kommen lassen, trieb ihn dazu, die Passivität abzustreifen. Seufzend klappte er sein Buch zu und erhob sich von seinem Bett.
Als Flint seine Zimmertür öffnete, erkannte er, dass sein Bauchgefühl richtig gewesen war. Etwas stimmte nicht! Die Schlafzimmertür war geschlossen. Was für einen Besucher keine Bedeutung gehabt hätte, fiel ihm jedoch sofort auf.
Die Tür ist nie zu!
Alarmiert rannte Flint durch den Flur und stieß die Tür auf. Drinnen bot sich ihm eine ungeheuerliche Szene: Seine Mutter schrie vor Schmerzen auf und stieß Ramona, seine ältere Schwester, von sich fort. Ramona stolperte und fiel neben dem Bett zu Boden. Dort kauerte sie sich in eine Ecke. Gleichzeitig sackte seine Mutter blutüberströmt zusammen.
„Nein! Nein, nein, nein, nein!“, schrie Flint und erwachte aus seiner momentanen Erstarrung.
Schnell rannte er auf sie zu. Er konnte seine Mutter zwar nicht halten, jedoch ihren Sturz verlangsamen und sie behutsam ablegen. Ihre Kleider waren blutgetränkt. Flint kannte das Messer, das in ihrer Brust steckte. Er wusste, dass es eine zwanzig Zentimeter lange Klinge hatte.
Eine Woge des Entsetzens raste über ihn hinweg.
Was soll ich tun? Einen Krankenwagen? Die Klinge rausziehen? Was muss ich machen? Was?
Er wusste es nicht. Sein Kopf war leer. Er konnte keinen klaren Gedanken fassen. Alles drehte sich und mitten im Strudel dieses tödlichen Teufelskreises stand er – gefangen und allein.
„Mama?“
Doch ihr Lebenslicht war bereits verloschen. Ihre Seele hatte den Körper verlassen
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