Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
Bahnen. Ignatius war anderer Meinung. Er sagte immer wieder, dass der Weg der Wächter der steinigere sei. Zum einen, weil die Custodes Iluminis den gleichen Versuchungen ausgesetzt waren wie jeder andere Mensch auch. Zum anderen, weil sie an das Gute glaubten, dies jedoch für das Auge meist unsichtbar war. Gleichzeitig war das Schlechte stetig präsent. Sobald man die Nachrichten einschaltete, wurde man mit all der Bosheit konfrontiert, zu der Menschen fähig waren.
Damals hatte Ignatius ihm das lederne Lesezeichen geschenkt – mit den Worten: „Für den Moment, an dem du es am dringendsten brauchst.“ Graciano war dankbar und überrascht gewesen, dass er ein Geschenk erhielt. Insgeheim konnte er mit dem Satz jedoch nichts anfangen. Dies hatte sich nun geändert. Der Student hatte in den letzten Tagen diese Gottesferne erlebt – und war zurückgekehrt. Er konnte fühlen, dass er nun ein anderer war. Dass sein Glauben eine neue Tiefe erlangt hatte.
Wie verabredet, erschien Joe am Abend zu ihrem gemeinsamen Abschiedsessen. Es war merkwürdig, sich wiederzusehen und das jeweilige magische Geheimnis des anderen zu kennen. Sie aßen, tranken und unterhielten sich, doch der Gedanke, dass man sich bald trennen würde, drückte auf die Stimmung. Schließlich saßen sie nur noch schweigend nebeneinander und starrten ins Feuer. Die Schwere der Stille lastete auf ihren Schultern.
Nach einer Weile begann Joe zu sprechen: „Hattest du schon einmal das Gefühl, dass dein Leben auf eine bestimmte Sache hin zielt und egal, was du machst, du kannst den Lauf der Dinge nicht ändern? Etwas wie – Schicksal?“
Wow! Was für ein schwermütiges Thema für einen Lagerfeuerplausch.
Die Hexe senkte den Blick und dachte über die Frage nach.
Ich wurde als WICCA geboren und bemühe mich, in ihre Reihen aufgenommen zu werden, obwohl ich ihre Praktiken für überholt und übertrieben naturverbunden halte. Nun absolviere ich eine Prüfung, deren Ablauf ich als fragwürdig bezeichnen würde. Ach ja, und ich hassen Campen. Trotzdem bin ich hier und mache den ganzen Kram mit. Man könnte es Schicksal nennen. Oder ich bin ganz einfach beknackt.
„Du sagst es“, seufzte sie und es klang mehr als deprimiert.
Neugierig blickte er zu ihr auf.
„Es gefällt dir nicht, oder?“, bemerkte er richtig.
„Nein, echt nicht. Ich kann es nicht leiden, wenn ich das Gefühl habe, dass jemand anderes für mich eine Entscheidung trifft und ich mich fügen muss.“
„Ist das denn so? Kannst du wirklich nicht anders?“, wollte er wissen.
Doch, klar. Ich könnte die Prüfung sein lassen und als zweitklassige Hexe in einem Teehaus mein Glück versuchen. Am Wochenende würde ich auf Jahrmärkten aus einer Kristallkugel lesen und irre reich werden. Ha, ha. Ja, eine ganz tolle Alternative …
Sie zuckte mit den Schultern.
„Ich könnte schon, aber ich schätze, es ist das Beste für mich, wenn ich es durchziehe.“
„Aber wenn du die Dinge ändern könntest, wenn es dir möglich wäre, eine bessere Wahl zu treffen, würdest du es tun? Würdest du versuchen, deinem Schicksal zu entkommen?“
Tamara warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. Joe starrte sie mit großen Augen an. Langsam bekam die Hexe den Verdacht, dass er nicht über sie sprach und dass von ihrer Antwort mehr abhängen könnte, als sie ahnte.
Mit einem Mal brachte sie es nicht mehr fertig, seinem Blick standzuhalten. Aus dem Konzept gebracht, sah sie auf ihre Hände.
Würde ich versuchen, meinem Schicksal zu entkommen?
Ihre Stimme war leise, als sie seine Frage schließlich beantwortete: „Wenn ich ehrlich bin, dann habe ich nie an das Schicksal geglaubt. Das Wort allein klingt schon, als hätte man es aus einem Glückskeks geangelt.“
Sie lächelte matt.
„Aber wenn du von Fügung sprichst, dann ja. Ich glaube schon, dass alles in meinem Leben einen Sinn ergibt. Alles andere wäre auch bedauerlich. Ein Leben als Anhäufung von Zufällen und Chancen? Nein, das würde mir nicht genügen.“
Sie schwieg eine Weile, ehe sie erneut das Wort ergriff: „Du hast mich gefragt, ob ich versuchen würde, meinem Schicksal zu entkommen? Na ja, es würde ganz sicher meinem Naturell entsprechen. Ich bin gegen alles, eine typische Rebellin. Aber wenn mich niemand zu etwas zwingen würde und ich die komplett freie Wahl hätte … dann würde ich mich vermutlich für den gleichen Weg entscheiden. Weil ich einfach nicht weiß, was es sonst noch für mich gäbe …“
Tamara hob den
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