Die Cromwell Chroniken - Schicksals Pfade (German Edition)
fröhliche Sommersprossengesicht des Pflegers vom Morgen an.
„Hallo, ich bin’s wieder, Kai.“
Graciano lächelte ebenfalls.
„Ich erinnere mich. Ich suche Pfarrer Etelbert Weyer. Vielmehr sein Büro, aber …“
Er blickte hilflos den Gang hinab.
Kai winkte ab. „Das geht jedem so, der hier neu anfängt. Komm mit, ich bringe dich hin. Du meinst doch den dicken evangelischen Seelsorger, oder?“
„Stimmt … ich meine … ja, er ist Seelsorger. Danke, das ist wirklich nett. Aber wirst du nicht irgendwo vermisst?“
„Kein Problem. Die kommen schon mal ohne mich aus. Schließlich muss ich hier ein gutes Werk verrichten. Darauf steht ihr Kirchentypen doch, oder?“
„Ja … da steh’n wir Kirchentypen drauf“, gab der Student mit einem schiefen Grinsen zurück.
„Herr Fernandez! Ich dachte schon, ich müsste einen Suchtrupp losschicken. Ha, ha! Kommen Sie rein, kommen Sie rein.“
„Tut mir leid, dass ich zu spät bin, Pfarrer Weyer“, entschuldigte sich der Student.
Kai hatte ihn in Windeseile zu seinem gewünschten Ziel gebracht und war dann sofort wieder verschwunden. Graciano hatte nicht einmal die Gelegenheit gehabt, sich richtig zu bedanken.
„Kein Problem, kein Problem. Nehmen Sie doch Platz. Ich habe bereits ein paar Akten für Sie vorbereitet. Patienten, die offen für Besuche eines Seelsorgers sind.“
Er schob seinem Praktikanten einen Stapel Papier entgegen und dieser las laut den ersten Namen vor: „Meyer, Anita.“
„Mitte siebzig, Kettenraucherin. Leidet unter einem Larynxkarzinom“, ratterte Weyer herunter.
Graciano sah ihn mit großen fragenden Augen an.
„Kehlkopfkrebs“, erklärte der Seelsorger.
„Oh.“
„Jährlich erkranken in Deutschland mehr als dreitausend Männer und fünfhundert Frauen daran. Meist in ihrem Alter. Es war wirklich Pech, dass es ausgerechnet sie erwischt hat.“
„Oh“, hauchte der junge Wächter erneut und wurde bleich.
Wieder triefte die Stimme des Pfarrers nur so vor professioneller Nüchternheit. Graciano konnte es kaum ertragen, jemanden in dieser Art und Weise über einen kranken Menschen sprechen zu hören.
„Leidet sie denn darunter?“, versuchte der junge Mann das Thema auf eine emotionalere Ebene zu bringen.
„Würdest du leiden, wenn du wüsstest, dass deine Sucht dich in spätestens ein paar Wochen dein Sprachvermögen kosten wird?“
Graciano vermochte nicht darauf zu antworten.
Joe verabschiedete sich mit der Entschuldigung, er habe noch etwas zu erledigen.
„Ich möchte nachsehen, ob mein Motorrad noch ganz ist.“
Er ging jedoch nicht, ohne sie zum Abendessen einzuladen.
„Als Dankeschön für deine Krankenschwesterndienste.“
Natürlich erlag Tamara seinen herzigen Grübchen und willigte ein.
Sein Abschied kam zu einem günstigen Zeitpunkt. Es war fast zehn Uhr und Britta würde sich über Funk melden.
Das will ich natürlich auf keinen Fall verpassen.
Pünktlich schaltete sie ihr Funkgerät ein und wartete. Schließlich ertönte es: „Hier spricht Bravo – Romeo – India – Tango – Tango – Alpha. Roger!“
Tamara rollte mit den Augen. Nicht ihr Ernst!
„Hallo, Sie durchgeknallte Ami-Funkerin. Rücken Sie sofort das Gerät der Amateur-Hexe raus oder ich muss Ihnen einen Abfangjäger vorbeischicken“, konterte sie mit todernster Stimme. Sie war gespannt, ob Britta ihren Zynismus mit Humor verwechseln würde.
Das gackernde Lachen am anderen Ende gab ihr Auskunft.
„Du bist immer so witzig, Tamara! Alles Roger bei dir?“
„Ja, mir geht es ganz gut.“
Wieder kicherte die alberne WICCA in das Gerät hinein.
Wenn sie wenigstens die Senden-Taste loslassen würde!
Tamara seufzte innerlich und zählte bis zehn. Sie war bei neuneinhalb, als Britta sich wieder gefangen hatte.
Noch mal Glück gehabt!
„Wie kommst du mit der Prüfung voran? Irgendwas Ungewöhnliches?“
Tamaras erster Impuls war es, zu verneinen, doch dann fiel ihr ein, dass sie letzte Nacht einen nackten Mann in ihr Zelt geschleift hatte.
Das könnte man unter Umständen als „ungewöhnlich“ bezeichnen.
Sie dachte darüber nach, ob sie Joe erwähnen sollte. Er hielt sich in einem Naturschutzgebiet auf, was so ziemlich verboten war, und düste außerdem einfach mit einem Motorrad durch die Gegend. Auch das klang nicht besonders legal. Die Studentin wollte nicht, dass er Ärger bekam. Also beschloss, seine Anwesenheit geheim zu halten.
Gar nichts zu sagen, würde Britta jedoch enttäuschen und sie könnte womöglich
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