Die Daemmerung
unsere besten Männer das Leben kosteten ... und mir meinen geliebten Bruder entrissen ... vielleicht für immer.« Sie lächelte tapfer. »Deshalb tut es gut, von Unternehmen mit glücklicherem Ausgang zu hören, so wie dem Euren. Das macht mir Hoffnung. Bitte, Prinz Eneas, erzählt uns Eure Geschichte noch einmal.«
Hinter dem Prinzen mimte Feival jetzt begeisterten Beifall: Er selbst hatte sie dieses tapfere, tragische Lächeln gelehrt.
Eneas lachte und gab gutmütig nach. Er war wirklich liebenswert, dieser Prinz: Die meisten Männer hätten freudig die Gelegenheit genutzt, sich in die Brust zu werfen und ihre Ruhmestaten vor Briony, den Dienerinnen und Ivgenia auszubreiten. Gailon Tolly, Herzog von Gronefeld, war — auch wenn er sich letztlich, zumindest im Vergleich zu seinem verräterischen Bruder, als aufrechter Mann entpuppt hatte — jederzeit nur allzu bereit gewesen, lang und breit von seinen Jagd- oder Reitabenteuern zu erzählen und jeden Sprung über einen Graben wie einen Triumph über Kernios den Seelenentführer selbst hinzustellen.
»Unsere Armee überschritt die Grenze und machte an der äußersten hierosolinischen Garnison halt«, sagte der Prinz. »Unser Befehlshaber, Graf Risto von Omaranth, sollte eigentlich gar nicht für Hierosol kämpfen, sondern sich ein Bild von der Lage machen und eine Strategieempfehlung zu meinem Vater schicken — deshalb hatte Vater Risto entsandt, einen gewieften, vorsichtigen Mann. Doch niemand hatte damit gerechnet, dass der Autarch so rasch und mit solcher Truppenstärke zuschlagen würde. Während er mit einer gewaltigen Streitmacht von See her kam und die Mauern von Hierosol selbst sturmreif zu schießen begann, schickte er gleichzeitig bei Nacht eine zweite, kleinere Flotte mit leisen Rudern und gerefften Segeln die Straße von Kulloan hinauf. Durch die gefährlichsten Engpässe zwischen den Felsriffen führte sie ein Hierosoliner — ein Lotse, der sein Land für Geld verriet.« Eneas schüttelte aufrichtig verwundert den Kopf. »Wie kann jemand so etwas tun?«
»Das ist wirklich unverständlich«, sagte Ivvie und nickte vehement.
»Unmöglich«, stimmte Feival bei, der dazu neigte, sich etwas intensiver an Gesprächen zu beteiligen, als es einem Sekretär zukam. »Empörend!«
»Nicht jeder fühlt sich seinem Land so eng verbunden wie Ihr und ich«, erklärte Briony dem Prinzen freundlich. »Vielleicht, weil die Stellung solcher Leute im eigenen Land nicht so gesichert und privilegiert ist wie die unsere.«
»Oder weil sie einfach von Stand und Abstammung her zum Verrat neigen«, konterte Ivvie. »Auf den Ländereien meines Vaters gibt es Bauern, die nicht nur in unseren Wäldern wildern, sondern auch Abgaben verweigern und den Vogt bei der Steuererhebung belügen, indem sie behaupten, sie hätten mehr Kinder oder weniger Land, als sie wirklich haben, alles nur, um meinem Vater vorzuenthalten, was sie ihm schulden.«
Ein paar andere junge Edelfrauen gaben zustimmende Laute von sich. Sie hatten alle eine gewisse Abneigung gegen die Menschen, die den Boden bearbeiteten und die Feldfrüchte ernteten, wenn sie auch oft in einer Weise über sie sprachen, die in Brionys Ohren rührselig und falsch klang. Briony nahm nicht für sich in Anspruch, wirklich etwas über das Leben der Bauern zu wissen, aber sie hatte während des Reisens mit der Schauspieltruppe genügend Nächte in kalten Scheunen oder auf freiem Feld zugebracht, um sich sicher zu sein, dass niemand dieses Leben der Idylle wegen wählen würde. Und Briony hatte auch genügend Einblick in die Maschinerien des Rechts- und Abgabenwesens gehabt, um zu wissen, dass das Unrecht keineswegs allein aufseiten betrügerischer Bauern lag.
Trotzdem wäre es nicht klug, eine Diskussion darüber vom Zaun zu brechen: Die Leute hier am Hof hielten sie ohnehin schon für sonderbar genug, und es könnte auch die Laune des Prinzen trüben, wo sie doch gerade ihr Bestes tat, ihn für sich einzunehmen.
Feival funkelte sie jetzt wieder finster an, und ihr ging auf, dass sie in Gedanken ganz woanders gewesen war als bei Eneas' Schilderung, wie die xixische Invasion die syanesischen Truppen überrascht hatte und sie gezwungen gewesen waren, Schutz in einer hierosolinischen Festung zu suchen.
»Aber wenn Graf Risto und die anderen belagert wurden, wie habt Ihr dann von ihrer Bedrängnis erfahren? Ihr müsst es mir schon erzählt haben, aber ich fürchte, es ist mir entfallen.« Was natürlich nicht stimmte, aber es
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