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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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schwächte sich wieder ab, ohne jedoch ganz zu erlöschen, als hätte am verborgenen Strand jemand ein mächtiges Leuchtfeuer mit blaugelben Flammen entzündet.
    »Was ist das? Was machen Eure Leute da?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob es noch meine Leute sind«, sagte Kayyin mit einem seltsam traurigen Lächeln. »Aber es sind in jedem Fall die Eremiten meiner Herrin. Sie bauen die Dornenbrücke.«
    »Gute Götter?«, murmelte Merolanna. Utta drehte den Kopf und sah ein mächtiges, schwarzes Etwas langsam aus dem Nebel hervorkommen wie der Fangarm einer gigantischen Meereskreatur. In den wenigen Augenblicken, ehe der Wind es wieder in Nebel hüllte, wurde sie daraus nicht recht schlau. Eine Pflanze, erkannte sie schließlich — irgendein monströses Rankgewächs, dick wie ein Turm und mit Dornen, so lang wie Schwerter. Wieder bewegte ein Windstoß von der unsichtbaren Bucht her die Nebelschwaden, und diesmal sah sie nicht nur die Ranke, die ihr am nächsten war, sondern noch weitere tiefer im Nebelmeer. Das grässliche Ächzen und Knarren, so tief und laut, dass es das Holz des Balkons erschütterte, war das Wachstumsgeräusch dieses Dings, das sich da aus dem Strand unter ihnen emporschob und gierige Rankenfinger in Richtung der Südmarksburg jenseits des Wassers streckte.
    »Die Dornenbrücke ...«, sagte sie langsam.
    »Aber was ist das?«, fragte Merolanna. »Mir wird schon von dem bloßen Anblick ganz übel. Was soll das?«
    »Sie ... sie wollen es benutzen, um die Burg anzugreifen«, erklärte Utta und begriff es selbst erst richtig, während sie es aussprach. »Sie werden auf diese Ranken klettern wie auf Sturmleitern, um über die Bucht und die Burgmauern zu gelangen. Sie werden wie Ameisen einfallen und alle töten. Habe ich recht?«
    »Ja«, sagte Kayyin. Es klang vielleicht sogar ein wenig betrübt. »Ich gehe in der Tat davon aus, dass sie jeden töten wird, den sie findet. Ich habe sie noch nie so zornig gesehen.«
    »Oh!«, sagte die Herzogin, und wieder fürchtete Utta, die Ältere würde umkippen. »Ihr Ungeheuer? Wie könnt Ihr ... auch nur so
reden,
als ob ... als ob ...« Sie wandte sich ab und wankte wieder nach drinnen. Gleich darauf hörte Utta sie langsam die Treppe hinabsteigen.
    »Ich sollte mich um sie kümmern«, sagte Utta zögernd. »Gibt es denn gar keine Möglichkeit, Eurer Herrin diesen Angriff auszureden?«
    »Sie ist nicht meine Herrin, was ein Teil des Problems ist. Mein Herr ist der König, und wenn Yasammez eines hasst, dann ist es Illoyalität, vor allem innerhalb der Familie.«
    »Familie?«
    »Sagte ich das noch nicht? Fürstin Yasammez ist meine Mutter. Meine Geburt ist viele, viele Jahre her, und wir sind uns schon lange entfremdet.« Sein merkmalloses Gesicht zeigte keine tiefere Beteiligung als die von jemandem, der eine nicht ganz uninteressante Geschichte zu erzählen hat, doch Utta konnte sich des Gefühls nicht erwehren, dass da sehr viel mehr hinter diesen Worten war — es konnte ja gar nicht anders sein. »Ich bin zwar keineswegs ihr einziges Kind, aber ich bin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit das einzige noch lebende.«
    »Aber Ihr habt doch gesagt, Ihr geht davon aus, dass sie Euch eines Tages hinrichten wird. Wie könnte eine Mutter ihrem eigenen Kind so etwas antun?«
    »Mein Volk ist nicht wie Euer Volk — doch selbst innerhalb meines Volkes ist Fürstin Yasammez eine Ausnahme. Ihre Liebe gilt nicht ihren eigenen Nachkommen, sondern denen ihrer Schwester. Und obwohl sie Trägerin der Feuerblume ist, behält sie sie im Gegensatz zu allen übrigen in unserer Geschichte für sich allein.«
    Utta konnte nur verwirrt den Kopf schütteln. »Ich verstehe überhaupt nichts. Was ist eine Feuerblume?«
    »Die Feuerblume. Es gibt nur eine. Sie ist die Gabe unseres mächtigen Herrn Krummling an die Erstgeborenen, der Beweis seiner Liebe zu einer sterblichen Frau — Summu, der Mutter meiner Mutter. Und sie ist das Vermächtnis der Kinder, die er mit ihr zeugte.« Er bemerkte ihren Gesichtsausdruck und unterbrach sich. »Ah ja, natürlich, Euer Volk kennt Krummling unter einem anderen Namen — Kupilas der Heiler.«
    Unter anderen Umständen hätte Utta diese Worte als das Gebrabbel eines Irren abgetan, und tatsächlich war da in Kayyins gleichförmigem, unbewegtem Tonfall etwas, das ihn nicht ganz normal wirken ließ, aber sie hatte der furchteinflößenden Yasammez gegenübergestanden, und sie hatte das dornige Resultat der Zauberkünste dieser dunklen

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