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Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
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fragen, was sie von ihm wollten, doch sein Mund konnte die Worte nicht formen. Sein Gesicht fühlte sich taub an, und obwohl die Muskeln von Kiefer und Zunge zuckten, vermochten sie sich aus irgendeinem Grund nicht frei zu bewegen. Er griff sich an die Lippen. Zu seinem Entsetzen fühlte er dort nichts als Haut, so steif wie altes Leder. Sein Mund war verschwunden.
    Barrick. Bist du's?
    Jemand sprach ihn von hinten an, die schmerzlich vertraute Stimme des dunkelhaarigen Mädchens — Qinnitan, so hieß sie, doch er konnte ihr nicht antworten, so sehr er sich auch bemühte. Er versuchte sich umzudrehen, aber bewegen konnte er sich auch nicht — sein Körper war so taub und starr wie sein Gesicht.
    Warum sprichst du nicht mit
mir?, fragte sie.
Ich kann dich doch sehen! Ich möchte schon so lange mit dir reden! Womit habe ich dich erzürnt?
    Barrick rang darum, seine steinernen Muskeln zu bewegen, bis ihm schwindelig wurde, aber es nützte nichts. Er hätte ebenso gut eine Statue sein können. Die erwartungsvollen Gesichter blickten immer noch zu ihm auf, doch einige änderten jetzt ihren Ausdruck, zeigten Ungeduld und Verwirrung. Er stand da und blickte auf sie hinab, während der Himmel dunkler wurde und Regen einsetzte, kalte Tropfen, die er kaum spürte, als ob seine Haut so dick und starr wie Baumrinde wäre. Er hörte wieder Qinnitans Stimme, aber sie wurde immer leiser, bis sie schließlich ganz weg war. Die Menge begann sich zu zerstreuen, teils sichtlich wütend über seine Passivität, teils einfach nur verdutzt, bis er schließlich ganz allein auf dem kahlen Hügel stand, triefend von Regen, den er nicht wegwischen konnte.

    »Prinz Barrick, wenn Ihr wirklich ... ah!« Raemon Beck, der Barrick nur ein Mal geschüttelt hatte, spürte erschrocken Qu'arus' Schwertklinge an seinem Hals.
    »Was ist?«
    Beck schluckte vorsichtig. »Könntet Ihr ... könntet Ihr mich bitte nicht töten, Herr?«
    Barrick nahm die Klinge weg und steckte sie wieder in die Scheide. »Wie lange habe ich geschlafen?«
    Beck rieb sich die Kehle. »Das ist hier immer schwer zu sagen, aber die Viertelglocke hat vor kurzem geläutet. Wir haben nicht mehr lange, bis die Ruhezeit vorbei ist und die Traumlosen wieder auf den Kanälen sind.« Bleich und mit schwarzen Augenringen sah der junge Kaufmann aus, als hätte er kein Auge zugetan. »Wenn Ihr wirklich nach diesem Ort suchen wollt, müssen wir los.«
    »Wir? Heißt das, du willst mitkommen?«
    Beck nickte beklommen. »Was habe ich für eine Wahl, Herr? Töten werden sie mich sowieso.« Er rang sichtlich um Fassung. »Zum ersten Mal seit langem habe ich an meine Frau und meine Kinder gedacht ... daran, dass ich sie wohl nie wiedersehen werde ...«
    »Genug. Das hilft uns beiden nicht.« Barrick setzte sich auf und streckte sich. »Wie lange geht diese Ruhezeit noch?«
    Beck zuckte unglücklich die Achseln. »Ich sagte doch, die Viertelglocke hat geläutet. Das heißt, drei Viertel sind um. Ich kann nicht mal mehr in unseren Zeitmaßen denken, Prinz Barrick. Eine Stunde? Zwei? Mehr bleibt uns nicht.«
    »Dann müssen wir versuchen, vorher ins Stadtzentrum zu gelangen. Was ist mit diesen Schrikkas? Werden sie uns auf dem Fluss anhalten?«
    »Anhalten?« Beck lachte, und es klang so hohl wie ein verfaulter Baumstamm. »Ihr versteht nichts, Herr. Die Einsamen sind nicht wie die Wachen oder Ordnungshüter bei uns daheim in Helmingsee. Sie werden Euch nicht anhalten, sie werden Euch das Mark in den Knochen gefrieren lassen. Sie werden Euch das Herz herausreißen und es in einem Stück hinunterschlingen. Wenn Ihr auf dem Wasser seid und sie rufen hört, werdet Ihr Euch ertränken, nur um ihnen zu entkommen.«
    »Sprich nicht in Rätseln — was sind das für Kreaturen?«
    »Ich weiß es nicht. Selbst mein Herr hat sie gefürchtet. Er hat mir gesagt, sein Volk hätte sie nicht in Schlaf einführen dürfen. Das hat er gesagt — einführen. Ich weiß nicht, ob sie sie gefunden haben oder gezüchtet oder herbeigerufen wie xandische Dämonen — selbst die Traumlosen sprechen von den Schrikkas nur im Flüsterton. Ich habe einen von Qu'arus' Söhnen zu seinem Bruder sagen hören, sie seien wie weiße Lumpen im Wind, aber mit den Stimmen von Frauen. Die Traumlosen nennen sie auch ›die Augen des leeren Ortes‹. Ich weiß nicht, was das heißt. Und, bei den Göttern, ich will es auch nie erfahren.« Er war schon wieder den Tränen nahe.
    »Hör auf mit dem Gejammer. Hier, schau auf deinen Plan.«

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