Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Daemmerung

Die Daemmerung

Titel: Die Daemmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Barrick hockte sich vor die Spirale, die der Kaufmann in die Erde geritzt hatte. »Den großen Kanal sollten wir nicht nehmen, zumal, wenn die Ruhezeit, wie du sagst, bald vorbei ist. Du musst mir helfen, auf kleineren Kanälen ins Zentrum zu finden.«
    »Aber die kleinen Kanäle — da ist das Dunkellicht überall«, sagte Beck. »Da sieht man nichts. Und manche sind von Schleusentoren versperrt — und auch wenn wir nichts sehen, sehen sie
uns
trotzdem Barrick stöhnte. »Aber irgendwie muss man doch hinkommen, selbst wenn wir mitten auf dem größten Kanal fahren müssen ...«
    »Wie ein Schneckenhaus«, sagte Skurn plötzlich. Er hob den Kopf von den klebrigen, zertrümmerten Überresten eines ebensolchen, an dem er gerade herumgepickt hatte. »Das hat unsereins gesehen. Von oben.«
    »Ja. Wir wollen ins Zentrum, aber Beck sagt, die kleineren Kanäle können wir nicht unbemerkt nehmen.«
    »Unsereins könnte einen Weg finden«, sagte Skurn. »Von Insel zu Insel, wo das Dunkel nicht hinreicht.«
    »Dann tu's«, sagte Barrick. »Tu's, und ich verspreche dir, ich fange dir das größte und dickste Kaninchen, das du je gesehen hast, und esse selbst keinen Bissen davon.«
    Der Vogel sah ihn mit schiefgelegtem Kopf an, und seine schwarzen Augen glänzten im Feuerschein. »Abgemacht«, sagte er und breitete die Flügel aus. »Folgt mir so dicht, wie Ihr könnt.«
    Bevor Barrick wieder in das Ruderboot stieg, blieb er noch beim Feuer stehen, um es zu löschen. Doch ehe er mit dem Fuß sandige Erde darüberscharrte, nahm er einen harzigen Kiefernzapfen und hielt ihn in die Flammen, bis er aufloderte.
    »Das brennt zu hell?«, sagte Beck, als er es sah. »Macht ihn aus?«
    »Da draußen ist es stockfinster. Ich werde mich nicht mit den Händen durch diese verdammte Stadt tasten. Und außerdem, wenn die Traumlosen schon kein Zwielicht mögen, fürchten sie sich vielleicht vor Feuer.«
    »Sie hassen Licht, aber sie fürchten es nicht. Und sie werden es von weitem sehen. Wenn wir das da mitnehmen, können wir ebenso gut laut herumbrüllen, damit die Schrikkas wissen, wo wir sind.«
    Barrick starrte ihn an und versuchte zu entscheiden, ob der Mann recht hatte oder einfach nur ein Angsthase war. Schließlich warf er die Fackel in den Fluss; ein Dampffähnchen stieg hinter ihnen auf, als sie aufs Wasser hinausglitten.

    Barrick hatte die düstere Stadt schon vorher nicht gefallen, doch als sie jetzt immer tiefer ins Zentrum vordrangen, gefiel sie ihm noch viel weniger. Vielleicht würde sie ja nicht ganz so unheilschwanger wirken, dachte er, wenn die Ruhezeit vorbei war und die Straßen sich wieder füllten, aber dass sie je heiter oder auch nur normal wirken könnte, war schwer vorstellbar. Die Kanäle mit ihren schrägen Wänden und tiefhängenden Brücken hatten fast schon etwas von Därmen — als wäre die Stadt irgendein riesiges, dumpfes Geschöpf, etwas Seesternartiges, das sie langsam verdaute. Die Häuser, selbst die größten, hatten etwas Beengtes und Verschlossenes, und die kleinen Fenster erinnerten an die trüben Augen von Blinden. Barrick sah auch kaum öffentliche Orte, jedenfalls keine, die er als solche zu identifizieren vermochte, bis auf die zerklüfteten Brücken und vereinzelten kahlen Flächen, die nicht wie Markt- oder andere Plätze wirkten, sondern eher, als wären die Gebäude, die dort einst gestanden hatten, verschwunden und nie durch neue ersetzt worden. Doch das Schlimmste war die drückende Stille, die über dem dunklen Labyrinth hing. Die Einwohner mochten ja Traumlose heißen, aber nichts hier vermittelte den Eindruck ständiger Wachheit. Im Gegenteil schien jedes Gebäude, an dem Barrick und Raemon Beck vorbeifuhren, ein Albtraumgebilde, eine harte Schale, in der sich ein Kern diffuser Bosheit verbarg, so als wäre Schlaf gar keine Stadt, sondern ein Mausoleum für ruhelose Tote.
    Als sie gerade aus dem Schutz einer der Inseln in der Kanalmitte hinausglitten, um auf das nächste kleine Eiland aus Fels, Bäumen und Zwielicht zuzuhalten, erklang das letzte Ruhezeitläuten, ein dumpfes Dröhnen, das Barrick mehr in den Knochen spürte, als dass er es hörte.
    »Jetzt kommen sie heraus«, sagte Beck leise, aber sichtlich um Fassung ringend. »Jemand wird uns sehen.«
    »Wenn du weiter so nervös herumzappelst und dauernd zusammenschreckst, wird uns mit Sicherheit jemand bemerken. Sitz still. Tu so, als gehörtest du hierher.« Barrick zog sich die Kapuze tiefer ins Gesicht. »Wenn du nichts hast,

Weitere Kostenlose Bücher