Die Daemmerung
dann schien plötzlich alles zu kippen, und sie fielen beide aus der Welt. Barrick konnte nicht schreien, nicht weinen, nicht denken, konnte weiter nichts tun, als durch das Schwarz zu stürzen, dieses kalte Garnichts, das jetzt schon endlos schien ...
Da war nur Leere, ohne Geräusche oder Licht, ohne Richtung, ja sogar ohne Sinn. Die Zeit selbst hatte diese Leere verlassen, falls sie überhaupt je hierher vorgedrungen war. Er wartete tausend Jahre, bis er sich einen Atemzug tun fühlte, dann weitere tausend auf einen Schlag seines Herzens. Er war am Leben, aber er war nicht lebendig. Er war für immer nirgendwo.
Eine Ewigkeit verging. Er hatte alles vergessen. Sein Name war ihm längst entfallen, seine Erinnerungen ebenfalls, und jedes Ziel und jeder Zweck hatten sich schon lange davor in Nichts aufgelöst. Er trieb im Dazwischen wie ein totes Blatt in einem Fluss, willenlos, unbeteiligt, bewegungslos bis auf das, was ihm an Bewegung widerfuhr. Die Leere mochte so tosend und reißend sein wie ein Wasserfall, er wusste es nicht: Da er in ihr und Teil von ihr war, spürte er nichts. Er war ein Sandkorn an einem leeren Strand. Er war ein kalter, toter Stern im fernsten Winkel des Himmels. Er konnte kaum mehr denken. Er war ... er war ...
Barrick? Barrick, wo bist du?
Die Laute fielen in sein Denken, verblüffend in ihrer Komplexität. Natürlich waren sie für ihn ohne Bedeutung — Geräuschklumpen mit einem Anfang und einem Ende, absichtsvolle Artefakte, die für ein Blatt, einen Kieselstein, einen kalten, erloschenen Funken gar nichts bedeuten
konnten.
Und doch fühlte er sie, und das Gefühl zog an ihm, weckte ihn. Was bedeutete es?
Barrick, wo bist du? Warum redest du nicht mit mir? Warum lässt du mich allein?
Jetzt dachte er an etwas oder fühlte es, ein leuchtendes Stäubchen, das vor seinen Augen tanzte, ein Quentchen Licht ... ein Streifchen Feuer. Das Leuchten gab schließlich der Leere Form, und damit gab es ihm wieder ein Gefühl für Richtungen,
aufwärts und abwärts, rückwärts, vorwärts . ..
Das Licht ging von einer kleinen, schlanken Gestalt aus, die dunkle Augen hatte und noch dunkleres Haar — Haar, fast so schwarz wie die Leere selbst bis auf eine leuchtende Strähne, das Streifchen Feuer, das durch das endlose Nichts sein Augenmerk auf sich gezogen hatte. Es war ein Mädchen.
Barrick. Ich brauche dich. Wo bist du?
Und da fiel es ihm wieder ein, aber in wirren Fragmenten, sodass das schwarzhaarige Mädchen einen Moment lang seine Schwester zu sein schien oder vielleicht seine Verlobte.
Qinnitan?
Er versuchte, sie mit aller Kraft zu rufen.
Qinnitan!
Ich bin so einsam,
jammerte sie.
Warum kommst du nicht mehr zu mir? Warum hast du mich im Stich gelassen?
Ich bin hier!
Doch obwohl er fast vor ihr zu sein schien, schaffte er es nicht, dass sie ihn hörte.
Ich bin hier! Qinnitan!
Sie hätte ebenso gut auf der anderen Seite eines dicken, alles verzerrenden Fensters sein können. Sie waren gemeinsam im Leeren, aber sie konnten einander nicht berühren, nicht miteinander sprechen ...
Warum?,
rief
sie. Warum hast du mich verlassen?
Preis den Ahnen.
Eine andere Stimme, ein anderes Denken, brach plötzlich in die Leere ein.
Ich habe gesucht und gesucht. Ich glaubte dich im Großen Dazwischen verschollen . . .
Qinnitan nahm diese Präsenz offenbar ebenso wenig wahr, wie sie Barrick hörte oder sah. Ihre Stimme wurde schwächer.
O Barrick, warum ...?
Komm,
sagte die neue Stimme — eine Männerstimme. Er hatte sie schon gehört.
Ich will dir helfen, Kind, aber du musst die Kluft selbst überqueren. Es ist schon spät — du musst geradewegs durch eine dunkle Zeit.
Dann konnte er die Präsenz sehen, etwas Helles, Vierbeiniges, der Kopf ein Etwas aus dünnen Ästen und Zweigen, wie ein junger Baum.
Nein, erkannte er, das war ein
Geweih:
Was da vor ihm im endlosen Dunkel stand, so eisig leuchtend wie ein ferner Stern, war ein mächtiger weißer Hirsch.
Folge mir,
sagte er. Die Worte schienen von einem eigenen lavendelfarbenen Licht zu glimmen.
Folge mir — oder hast du dich schon ins Nichtsein verliebt?
Und etwas schien ihn zu ergreifen, ein weißes Aufblitzen, das ihn aus der Leere heraushob und von dem dunkelhaarigen Mädchen wegzog.
Nein!
Er kämpfte dagegen an, aber es war stärker.
Qinnitan, nein, ich bin hier! Hier bin ich!
Doch sie hörte ihn immer noch nicht, und er konnte gegen diese neue Kraft nichts ausrichten. Schon entglitt das Mädchen, entschwand in immer undeutlichere Ferne,
Weitere Kostenlose Bücher