Die Daemmerung
dieser
Ort
ist viel älter als mein Volk,
sagte Ynnir.
Die Feste, in der du jetzt sitzt, oder besser; die Feste, die unter und hinter der Feste liegt, in der du jetzt sitzt, war einst das Reich des Mondgottes selbst, des Khors Silberglanz. Wenn du das nächste Mal die Mauern und die stolzen, hohen Türme siehst, schau nicht auf den schwarzen Stein, mit dem wir gebaut haben, halte Ausschau nach dem Schimmern des Mondsteins darunter Ein waches Auge wird ihn sehen.
Barrick konnte sich nur mit großen Augen umschauen. Diese seltsame Festung — war das wirklich Ewigfrost, die dunkle Feste all der Geschichten?
Selbst die Ungebildetsten eures Volkes wissen, wie jene Schlacht ausging, wenn sie auch nicht alle Gründe kennen,
fuhr Ynnir fort.
Khors wurde getötet, und sein Bruder und seine Schwester wurden von der Erde verbannt. Seine Gemahlin — Perins Tochter Zoria — entkam und irrte umher; bis sie von Perins Bruder Kernios, dem finsteren Erdherrn, gefunden wurde. Er nahm sie mit in sein Haus und machte sie
zu
seiner Frau — ob sie wollte oder nicht.
Doch während des Krieges hatte sie ein Kind geboren — den schlauen Kupilas, Sohn des Mondherrn —, und als der Knabe heranwuchs, bewies er solche Fertigkeiten in der Herstellung von Dingen, dass ihn Perin und die anderen xandischen Götter, auch wenn sie ihn verspotteten und grausam behandelten, mitnahmen, damit er sein Können in ihre Dienste stellte. Er machte wunderbare Dinge für sie.
»Zum Beispiel Erdstern, den Speer des Kernios«, sagte Barrick im Gedenken an das, was ihm Skurn erzählt hatte.
Ja, und diese Waffe war Krummlings Glanzstück und sein Verderben,
sagte Ynnir.
Aber so weit sind wir noch nicht. Doch das fatale Schicksal der Feuerblume — das, was uns jetzt noch vernichtet — wurde in den Trümmern des Götterkrieges begründet. Krummling entkam schließlich seinen Entführern. Er bereiste die Welt, unterwies dein Volk und meines, und lernte mehr, als je ein anderer Gott oder Mann über die Kunst der Herstellung von Dingen gelernt hat. Und in jenen Jahren lernte er auch, die Straßen der Leere zu gehen.
Barrick nickte, weil ihm wieder eine der seltsamen Geschichten des Raben einfiel. »Die Straßen seiner Urgroßmutter.«
Ja. Und so kam er schließlich hierher und lebte eine Zeitlang bei meinem Volk in den Ruinen der Mondfeste, und während er bei uns lebte, verliebte er sich in eine meiner Vorfahrinnen, die Jungfrau Summu. In jenen Zeiten teilten sich die Götter und die Menschen die Erde und hatten sogar Kinder miteinander. Doch anders als die meisten Götter ließ Krummling — Kupilas — seine Abkömmlinge nicht mit Geschichten als einzigem Erbe zurück. Summu gebar drei Kinder, zwei Mädchen und einen Jungen, und sie alle kamen mit der Gabe
zur
Welt, die wir die Feuerblume nennen. Als Kupilas wieder gegangen war, seinem großen und schrecklichen Geschick entgegen, stellte sich heraus, dass seine Kinder anders waren als die anderen ihres Stammes — in ihnen strömte das Leben stärker. Eins dieser Kinder war Yasammez, die mächtige, dunkle Fürstin, die du getroffen hast und die sämtliche Zeitalter seither durchlebt hat — ein Leben, fast so lang wie das, das den Göttern selbst gewährt ist. Ihre Geschwister, Ayann und Yasudra, machten von ihrer Gabe anderen Gebrauch, wenn sie auch zuerst gar nicht wussten, dass sie eine Gabe weiterzugeben hatten. Obwohl sie länger lebten, als die Mitglieder unserer Familien gemeinhin leben, eine Spanne von wenigen Jahrhunderten nämlich, war ihre Gabe nicht nur für sie bestimmt, sondern auch für ihre Nachkommen.
Summu war vom höchsten Blute unseres Volkes gewesen, also wurden ihr ältester Sohn und ihre älteste Tochter, wie es bis heute Tradition ist, miteinander verheiratet, um die Blutslinie rein und stark
zu
halten. Doch diese beiden, Ayann und Yasudra, gaben die Feuerblume an ihre eigenen Kinder weiter, und diese Gabe bedeutete, dass nach Ayanns und Yasudras Tod, als ihre Kinder das Volk regierten, diese die Essenz ihrer Eltern in sich trugen — nicht nur deren Geist und Blut, sondern ihre lebende Essenz und ihre sämtlichen Erinnerungen. Diese Kinder bekamen dann wiederum Kinder, Ayanns und Yasudras Enkelkinder; und eines Tages heirateten wiederum zwei dieser Enkel und gaben die Weisheit und die Gedanken ihrer Eltern und Großeltern an ihre eigenen Kinder weiter. Und so ging es bis heute, der König und die Königin unseres Volkes gaben jeweils alles, was sie waren, an die
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