Die Daemmerung
ist eine gute Jacke, aber schmutzig, wie ich sehe. ›Deine Kleidung sei nicht zerrissen und speckig‹, wie im heiligen Buch geschrieben steht. Bei Hofe haben sie dich wohl verjagt?«
Er spürte, wie er vor Ärger rot anlief »Es heißt ›zerrissen und dreckig‹, nicht ›zerrissen und speckig‹. Nein, Mutter, ich bin bei Hofe äußerst beliebt. Auch dir einen guten Tag. Ich freue mich, dich wohlauf zu sehen.«
Sie deutete auf das halbe Dutzend Männer und Frauen, das sich um sie drängte, alle so abgerissen und dreckig wie nur möglich. »Die Götter schenken mir Gesundheit, weil ich mein Bestes für andere gebe.« Ihre Augen verengten sich, als sie den nächststehenden alten Mann musterte. »Kau bloß dein Essen«, sagte sie streng. »Schling es nicht runter in der Hoffnung, mir dann noch mehr abschwatzen zu können.«
»Wo wohnst du, Mutter?«
»Die Götter sorgen für mich«, erklärte sie hochtrabend, was wahrscheinlich bedeutete, dass sie schlief, wo immer sie konnte, wie so viele Festlandsflüchtlinge in dieser überfüllten, stinkenden Stadt-in-der-Stadt. »Warum? Kommst du, mir ein Schlafgemach im Palast anzubieten? Schämst du dich doch noch, weil du die Götter durch Trinken und Herumhuren beleidigst? Hoffst du, sie dir gnädig zu stimmen, indem du der Frau, die dich geboren hat, ein klein wenig Mildtätigkeit angedeihen lässt?«
Kettelsmit atmete tief durch, ehe er antwortete. »Du warst immer schon fasziniert von dem Gedanken, dass ich trinke und herumhure. Ich frage mich, ob es sich für eine Mutter wirklich geziemt, so oft von solchen Dingen zu sprechen.«
Jetzt hatte er das Vergnügen, sie erröten zu sehen. »Du bist ein verderbtes Kind — bist es schon immer gewesen? Ich sage diese Dinge nur, um dich auf deine Irrungen hinzuweisen. Was mir natürlich nichts einträgt als Schmähungen, zuerst von deinem Vater und jetzt von dir, aber ich werde nicht hinterm Berg halten, wenn ich weiß, dass der Wille der Götter nicht getan wird.«
»Und was ist der Wille der Götter, Mutter?« Kettelsmit war kurz davor zu gehen, und wenn er noch so sehr auf sie angewiesen war. Er hätte sich nie auch nur in ihre Nähe begeben dürfen. »Sag es mir, bitte.«
»Das ist doch klar. Es ist Zeit, dass du dieses nichtsnutzige Leben aufgibst, Matthias. Wein, Weiber und Gedichte — nichts davon erfreut die Götter. Arbeit, Junge — richtige, vernünftige Arbeit — das ist das, was dir nottut. Das heilige Buch sagt, ›Dem, der sich nicht müht, werden die Augen ausgekratzt.«‹
Kettelsmit seufzte. Das heilige Buch war natürlich das Buch des Trigon, aber seine Mutter schien Zugang zu einer Version zu haben, die sonst niemand je gesehen hatte. Er war sich ziemlich sicher, dass die ursprüngliche Mahnung
»Dem, der nicht sieht, werden die Augen aufgetan«
lautete, aber es war zwecklos, mit ihr über solche Dinge zu diskutieren. »Die Götter können es bezeugen, Mutter, ich hatte nicht die Absicht, mit dir zu streiten. Lass uns das Gespräch noch einmal beginnen. Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass ich eine Bleibe für dich gefunden habe. Es ist nicht im Palast, aber sauber und hygienisch.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Tatsächlich? Du wirst endlich doch noch ein guter Sohn?«
Er biss die Zähne zusammen. »Wohl schon, Mutter. Können wir jetzt gehen, damit ich dir die Wohnung zeigen kann?«
»Sobald ich hier fertig bin. Einem pflichtbewussten Kind macht es nichts aus zu warten.«
Kein Wunder, dass keines ihrer Kinder es lange zu Hause ausgehalten hatte, dachte Kettelsmit. Er lehnte sich an eine Säule und sah zu, wie sie den Rest ihres harten Brots und ihrer strengen Ermahnungen an die wartenden Armen verteilte.
Der lächelnde Ausdruck, den seine Mutter beim Anblick des sauberen, gut eingerichteten Zimmers gezeigt hatte, wurde schlagartig so starr wie ein gedörrter Fisch, als sie das schlafende Mädchen entdeckte. Ihr fiel die Kinnlade herunter. »Bei den Heiligen Brüdern?« Sie schlug so vehement das Zeichen der Drei auf ihrer Brust, als ob es sie vor einem heransausenden Speer beschützen sollte. »O meine himmlischen Väter und Mütter, steht mir bei? Was ist das? Was ist das?«
»Das ist das edle Fräulein Elan M'Cory, Mutter ...«, begann er, aber Anamesiya Kettelsmit schob sich bereits an ihm vorbei und wieder zur Tür hinaus.
»Damit will ich nichts zu tun haben!«, sagte sie. »Ich bin eine gottesfürchtige Frau?«
»Genau das ist
sie
auch!« Kettelsmit wollte sie am Arm packen und
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