Die Daemonen 01 - Die Daemonen
vorschwebt. Wir sind auf etwas Nachhaltigeres aus.«
»Wer bist du?«, fragte ihn Irathindur. »Bist du das Oberhaupt des Rates?«
»Nein«, antwortete der Vermummte und schlug seine Kapuze zurück. Das Gespenst verflüchtigte sich schier. Die Klapperzähne verdoppelten ihren Takt. Selbst Krebs und Grünpelzkranich wichen ein, zwei Schritte zurück.
Was unter der Kapuze sichtbar wurde, war tatsächlich alles andere als angenehm. Es fehlte die Symmetrie, die selbst dem bizarrsten Äuβeren eines Dämons eine als geplant bezeichenbare Ästhetik verlieh. Das Gesicht des Vermummten sah aus wie eine wild wuchernde Pilzkolonie, aus der gekochte Nudeln hingen. »Ich bin der«, brodelte dieses Unding, »der diesen Saal hier angelegt hat. Ich bin Orison.«
»Orison?«, schnappten Gäus und Irathindur wie aus einem Mund. Gäus konnte es nicht glauben. »Der groβe Magier, der uns Dämonen in den Damönenschlund verbannte? Aber … was machst du denn dann hier? Solltest du nicht längst tot sein? Oder ist damals etwas schiefgelaufen und du wurdest mit hier hineingesaugt?«
Die Pilzkolonie mit den Nudeln lachte. Etwas Seltsameres als dieses Lachen hatten Gäus und Irathindur noch nie zuvor gesehen oder gehört. »Könnt ihr es euch denn noch immer nicht zusammenreimen? Muss ich denn immer wieder aufs Neue alle Bilder aufzeichnen, mit Kreide oder Worten? Weil Dämonen und auch Menschen das Nachdenken verlernt haben zugunsten von einfacheren Befriedigungen wie Bewegungsdrang und Hoffnung? Dann hört gut zu, meine Brüder. Hört und begreift.«
Gäus und Irathindur hörten die Wahrheit des Landes und des Wesens Orison, und sie hörten diese Wahrheit nicht nur mit ihren Ohren, sondern mit allen ihnen zu Gebote stehenden Sinnen. Sämtliche Kreidezeichnungen des groβen Saales flammten auf und verbanden sich zu einer alles umspannenden Schrift:
Es hat niemals so etwas wie menschliche Magier gegeben.
Auch keine Landdrachen, Flugechsen, Unholde und Einhörner.
Das waren alles Dämonen,
die in Menschen, Leguane, Vögel, Affen, Pferde
und anderes Getier schlüpften,
um sich auszutoben, ihre Grenzen auszuloten, lebendig zu sein.
In dieser Gier nach dem Leben
und dieser unbändigen Freude am Lebendigsein
brauchten sie aber schlieβlich
die ganze ihnen verfügbare Lebenskraft auf,
bis nichts mehr da war,
das ihnen in Zukunft zur Nahrung und Stärkung gereichen konnte.
Dem Weisesten von ihnen,
Orison dem Dämonenkönig,
blieb nichts anderes übrig,
als sie alle in den Schlund zu führen
– nicht um sie gefangen zu setzen und zu bannen,
sondern um ihnen wenigstens noch eine Weiterexistenz zu ermöglichen, wenngleich auch ohne Freiheit.
Orison war gestorben,
erschöpft,
zu Licht zerflossen und wiederauferstanden
im ewigen Kreislauf des von ihm geschaffenen Strudels.
Das Land,
das zur Erinnerung
noch seinen Namen trug,
ging trostlos über an die Menschen,
die ihre Lebenskraft aus sich selbst erzeugten,
weil sie schliefen, wenn sie müde waren,
weil sie andere Lebewesen fraβen, wenn sie Hunger verspürten,
und weil sie Arbeiten unter sich aufteilten
und zusammen gröβer waren als der Einzelne,
um sich gegen die Natur und das Leben zu behaupten.
Immer gegen das Leben, niemals mit ihm.
Und so verschwand alle Magie aus der Welt,
und selbst die Dämonen vergaβen,
dass niemand auβer ihnen selbst
die Dämonen jemals hatte bändigen können.
»Die Menschen hatten niemals Macht über uns!«, bekräftigte das schöne Gespenst vor Ergriffenheit schlotternd.
»Überzahl! Wir sind in der Überzahl, wenn wir das nur wollen!«, belferte auch Orogontorogon mit geballten Fäusten. Klapperzahn klackerte. Die Dämonen waren durch die brodelnd kollernden Worte Orisons erregt worden wie rollige Kater.
»Noch immer heiβt das Land Orison! Noch immer, nach all diesen Jahrtausenden!«, zwitscherte der Krebs in den höchsten Tönen. »Wenn das nicht ein höherer Status ist als der jedes menschlichen Königs, dessen Namen längst in Vergessenheit geraten ist, dann weiβ ich auch nicht!«
Selbst der Grünpelz lieβ es sich nicht nehmen auszurufen: »Uns ist der Tod hier nicht möglich. Selbst wenn wir glauben zu sterben, leben wir dennoch auf Ewigkeit weiter.« Das aufgeregte Geschnatter überschnitt sich. Fast schien es, als tanzten die Dämonen wie Hexen um ein Lagerfeuer und sängen dabei ein wildes Räuberlied.
Gäus war beeindruckt. Irathindur überhaupt nicht.
»Was seid ihr bloβ für ein erbärmlicher Haufen«,
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