Die Daemonen 01 - Die Daemonen
hochgekommen. Ich glaube, alleine kann die Flucht nicht gelingen. Greif nach meiner Hand, ich ziehe dich hoch.«
»Brauchen wir die Ringe noch? Sie sind schwer.«
»Nimm sie besser mit. Wenn wir sie fallen lassen, werden zwei weitere Dämonen sie zur Flucht nutzen, und dann weitere zwei und immer so weiter. Ich weiß wenig über die Welt, ich weiß nur, dass uns dort nur begrenzte Lebenskraft zur Verfügung steht. Je mehr von uns in dieser Welt wandeln, desto weniger Lebenskraft hat jeder Einzelne zur Verfügung.«
Gäus schien diese Theorie nicht ganz nachvollziehen zu können, aber er tat gerne, was ihm gesagt wurde. Also ließ er sich von Irathindur auf den Sims helfen und hielt dabei in zweien seiner Arme die beiden Ohrringe des Menschenkönigs.
Als sie zu zweit nebeneinander auf dem Sims lagen, verschnauften sie.
»Das fühlt sich gut an«, sagte Gäus und grinste mit seinem breiten Raubtiermaul. »Jetzt, wo der Strudel uns nicht mehr berührt, fühle ich mich gleich viel … kräftiger.«
»Ja. Der Strudel bindet uns, entzieht uns Lebenskraft. Lebenskraft ist alles. Ohne Lebenskraft sind wir nur Schatten.«
»Meinst du, wir schaffen es, da hochzuklettern?«
»Ich bezweifle, dass man diese Wand erklettern kann. Du kannst sie ja nicht sehen, aber ich sehe nichts als senkrechte, meistens sogar glatte Wand.«
Das breite Raubtiermaul von Gäus verzog sich. »Aber dann sind wir ja immer noch gefangen!«
»Mitnichten, mein ungeduldiger Freund. Wir werden fliegen!«
»Fliegen?«
»Ja. Fliegen.«
»Ich habe keine Flügel. Und nach dem, was meine Tasthaare über dich wahrnehmen, hast du auch keine.«
»Lass dich nicht täuschen vom Wirbeln des Strudels. Wir brauchten Körper, um die Ringe benutzen zu können. Deshalb haben wir Körper gebildet, ganz instinktiv, weil wir frei sein wollten, du und ich. Aber nun hat der Strudel uns nicht mehr in seiner Gewalt. Wir könnenunsere Körper fallen lassen und jederzeit neue bilden. Lass uns hinaufschweben, sobald du genügend zu Kräften gekommen bist.«
»Ich bin bei Kräften.«
»Dann los.«
»Aber die Ringe! Ohne Körper kann ich die Ringe nicht tragen.«
»Da hast du recht. Wir lassen sie auf dem Sims liegen, außerhalb der Reichweite des Strudels. Vielleicht wird eines fernen Tages der Strudel höhergestiegen sein und zwei andere Dämonen können sich die Ringe greifen, aber das soll uns dann nicht mehr kümmern. Bis dahin sind wir doch schon längst über alle Berge und in Sicherheit.«
Sie wurden beide durchscheinend. Ihre Körper fielen nicht von ihnen ab wie die Haut einer Schlange. Die Substanz ging einfach ohne Verluste in eine geisterhafte Daseinsform über, die bei Irathindur weiterhin gelblich und menschenähnlich war, bei Gäus weiterhin schwärzlich, sechsarmig und dreibeinig. So schwebten die beiden die senkrechte Wand hinauf, die ihnen, da sie nur insektengroß waren, noch viel mächtiger erschien als lediglich einhundert Schritt hoch. Oben angekommen konnten sie aus ihrer Geisterhaftigkeit mühelos wieder feste Körper bilden. Feste Körper waren praktisch, wenn man miteinander sprechen wollte.
»Und jetzt?«, fragte Gäus. Er witterte über den Rand in die Tiefe des Dämonenschlunds hinab wie in einen abgestreiften Albtraum. Seine Augenlosigkeit ließ ihn seltsam wirken, wie ein Wesen, das zu gleichen Teilen hilflos und unabhängig war.
Irathindur durchschritt bereits die durchbrochene Seilabsperrung mit den verwitterten Bannsprüchen. Entweder hatten die Bannsprüche längst ihre Wirkung verloren, oder aber die für die Schaulustigen angefertigte Lücke im Seil hatte den ursprünglichen Zweck des Bannkreises nichtig werden lassen. »Jetzt müssen wir uns Körper suchen.«
»Körper suchen ? Wir haben doch Körper!« Gäus folgte Irathindur aus dem Seilrund. Nichts hielt ihn auf oder zurück.
Irathindur schüttelte den Kopf. »Du hast das Wirkungsprinzip unseres Gefängnisses immer noch nicht begriffen. In dieser Welt gibt es nicht genügend Lebenskraft, um uns in unseren eigenen Körpern lange aufrechtzuerhalten. Nur im Strudel gibt es genügend Lebenskraft, dass Tausende von Dämonen jahrtausendelang überleben können, aber gebunden, geknechtet, suchtkrank und geschwächt. Wenn wir hier draußen nicht schon nach wenigen Tagen elendig zugrunde gehen wollen, müssen wir uns Wirtskörper suchen, die uns stetig mit ihrer eigenen Lebenskraft versorgen.«
»Heißt das, wir müssen von Wirtskörper zu Wirtskörper springen und ihnen jeweils
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