Die Daemonen 02 - Freiheit oder Finsternis
einundzwanzig Jahren haben wir nichts mehr von ihm gehört. Er ist inzwischen ebenso wenig mehr jung wie wir beide, Taisser.«
»Er ist jetzt knapp über vierzig. Ein gutes Alter, um kein Hitzkopf mehr zu sein.«
»Aber wo ist er abgeblieben? Wie willst du ihn finden?«
»Er ist immer noch auf der Insel Kelm. Ich weiß es einfach. Ich kenne ihn ziemlich gut. Damals, in den Wirren des Krieges, waren wir beide hinter feindlichen Linien als Glücksspieler unterwegs. Aber ich war der Antreiber. Minten war schon immer … anders. Ein geborener Kämpfer, der aber zum Grübeln neigt. Einer, der kein Anführer sein möchte, aber sich zwangsläufig immer wieder in der Position von jemandem wiederfindet, an den man sich wendet, weil man nicht mehr weiterweiß.«
»Du malst ihn in günstigen Farben. Wie will dieser eine Mann uns helfen können?«
Jetzt war es an Taisser Sildien, in eine imaginierte Ferne zu blicken. »Er wird uns nicht helfen wollen, das ist mir klar. Es wird meiner ganzen Überredungskunst bedürfen. Aber ich habe ihn schon früher überredet, und es kann wieder gelingen. Wir brauchen ihn einfach. Er ist der einzige Dämon, den wir haben.«
»Der einzige Dämon ?«
»Ich kann es dir auch nicht genau erklären. Da ist etwas an ihm, war schon immer an ihm. Und es sind nicht die Bärenzähne, die sein Gesicht verformen. Ich glaube, er kennt keine Furcht. Niemals habe ich ihn zaudern oder zögern gesehen. Auch nicht im Angesicht einer Übermacht. Selbst nicht im Angesicht des Dämons, der gerade eben unsere selbst zu einer Dämonin gewordene Göttin umgebracht hatte. Ich segele mit Minten zur Insel Rurga. Du weißt schon: Wo Nenamlelah Ekiam und ihre Sippe sich jetzt zu Kriegern ausbilden lassen. Mit diesem kleinen Trupp können wir den Dämonen von Süden her in den Rücken fallen. Wäre doch gelacht, wenn das nicht für Verwirrung sorgt.«
»Wenn die Dämonen im Süden niemanden haben überleben lassen, wird sich euch kaum jemand anschließen können.«
»Das nicht, aber die Dämonen werden ja auch nicht viele von sich im Süden zurückgelassen haben. Der Großteil von ihnen macht Jagd auf dich und das von dir in die Berge geführte Volk und verliert sich dabei hoffentlich in Schluchten und Lawinen. Die Dämonen im Süden werden sich sicher fühlen, auf erobertem Gebiet. Umso schmerzhafter werden die Nadelstiche sein, die Minten und ich ihnen zufügen.«
»Taisser der Kriegsheld?« Lae lächelte nicht nur spöttisch,sondern auch mitfühlend. »Hast du nicht heute immer noch Albträume wegen des einen Mannes, der dir damals in Witercarz im Kampfgetümmel ins Messer lief? Die schrecklichen, starr und trocken werdenden Augen dieses einen verfolgen dich noch immer.«
»Ja«, nickte Taisser Sildien. »Aber vielleicht geht es genau darum. Dieser eine war ein Mensch. Mit welchem Recht bringt ein Mensch einen Menschen um? Diesmal jedoch geht es nicht gegen Menschen. Der Feind ist von anderer Art. Da leuchtet selbst jemandem wie mir das Führen eines Krieges ein.«
»Ich verstehe dich, mein Liebster. Doch die Furchtbarkeit und Unumkehrbarkeit deiner Pläne machen mir Angst.«
»Mehr Angst als das heranrückende Dämonenheer?«
Die Ornamente an den Wänden schienen mit einem Mal Sinn zu ergeben. Sie waren ein Strudel, in dem tobende Seelen gefangen waren. »Nein«, sagte die Königin schließlich. »Nichts könnte mir mehr Angst einjagen als dies.«
Die Stadt wusste noch nicht, dass 18 000 ihrer Töchter und Söhne gefallen waren.
Die Stadt wusste noch nicht, dass ihr eine Entvölkerung bevorstand, danach eine Abfolge von Übergriffen, eine gewaltsame Inbesitznahme, wahrscheinlich die Vernichtung.
Die Menschen der Stadt wussten noch nicht, dass sie sich mitten in den Strapazen des hereinbrechenden Winters aufmachen sollten, das warme Heim, den gemütlichen Herd verlassen, um in den unbarmherzigen Gefilden des Wolkenpeinigergebirges eine Zuflucht zusuchen, die womöglich von den Coldrinern nicht geduldet wurde.
Die Stadt und die Menschen in ihr schliefen und träumten noch.
Doch dann sprach die Königin.
Verhärmt sah sie aus, in einem Gewand, das halb Trauerkleidung, halb Rüstung war. Der Berater neben ihr hielt fortwährend den Blick gesenkt, aus Scham und aus Entschlossenheit. Schnee fiel langsam, wie flockengewordene Niedergeschlagenheit.
Die Königin sprach auf dem größten aller Plätze, und alle hingen an ihren Lippen. Wer nicht selbst zum Platz kommen konnte, weil er bettlägerig war,
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