Die Daemonen 03 - Am Ende der Zeiten
diese Klippen auch als natürliches Hindernis funktionieren würden für den Großen, den das Dämonenweib jetzt zu entfesseln trachtete. Hätte man die Demonstration einfach in der Wüste durchgeführt, hätte es vor der Stadt nichts gegeben, das in der Lage gewesen wäre, einen Giganten aufzuhalten.
Der Fürst saß oben am Rand der Klippen in einer ausladend gepolsterten Sänfte, die von acht verschwitzten Trägern geschleppt und von sechzehn farbenprächtigen Angehörigen der Residenzgarde umstellt worden war. Dereiferer machte nicht so viel Aufhebens um sich. Er hatte das mühsame Hinabgelassenwerden in einer Art Förderkorb in Kauf genommen und stand nun unten am grünüberspülten Strand neben Kapitän Renech, hinter dem wiederum Tibe und Jitenji sich erwartungsvoll anschauten. Direkt an der vor- und zurückweichenden Wasserlinie, im trägen Lecken der Gischt, stand das Dämonenweib, mehr als dreißig Schritt von allen anderen entfernt, und lächelte ausgesprochen unverschämt. Dereiferer starrte an ihr vorbei auf das windbewegte Wasser. Obwohl Aztrivavez einen Küstenverlauf bildete, war es schon Monate her, seitdem der Berater des Fürsten zum letzten Mal die Zeit gefunden hatte, dem Meer so nahe zu kommen.
»Ich demonstriere euch jetzt«, sagte Adain mit dem ironischen Habitus einer Zauberkünstlerin, »das Wesen namens Orogontorogon.« Sie breitete die Arme aus und öffnete etwas in ihr. Es fühlte sich für sie ein wenig an wie einschlafen oder einem natürlichen Bedürfnis nachkommen. Über ihre Arme lief ein rötlicher Nebel, kreiste kurz in Höhe ihres Nabels und verdichtete sich aufwärts. Orogontorogon, der aufrecht stehende Hund, kam diesmal jedoch nicht nur aus dem Rot oder aus dem kieseligen Sand des Strandes: Er bildete sich genauso aus dem Wasser, aus nach oben gerissenenen, blutig sich färbenden Wellen, aus felliger Gischt, die hängenden Lefzen aus Algen und Schaum.
Die Größe des Ungeheuers überstieg alle Erwartungen und Befürchtungen.
Der Koloss ragte weit über die Klippen hinauf, zwanzig Mannshöhen mindestens, er war beinahe doppelt so hoch wie ein herkömmlicher Großer. In der Stadt erspähten Menschen die Riesenerscheinung im Meer und deuteten ganz außer sich nach Süden. Sie liefen zusammen, dann wieder auseinander und kreischten die ganze Zeit gleich ganz fernen Möwen.
Für einen Moment sah es so aus, als würde Orogontorogons Kopf in Flammen stehen. Eine rot untergehende, himmelwärts lodernde Sonne, umtanzt von Schemen und Trugbildern und Schatten. Das Rot umwaberte ihn unstet, erfüllte den ganzen Himmel. Seine rechte Schulter glänzte ledrig, weil in ihr die echte Sonne sich spiegelte. Dies war keine Kreatur der Wüste oder des Dämonenschlundes. Dies war eine Ausformung, Ausprägung oder auch Abnormität der Welt an sich, des unendlich sich reibenden Zusammenschlusses von Erdreich und Meer.
Dereiferer sank auf die Knie. Knirschender Sand umgab seine Schienbeine. Er spürte die Gegenwart eines Todes, der so groß, überlegen und eindeutig war, dass man ihn nicht einmal mehr zu fürchten brauchte. Auch der Fürst schluckte und ächzte in seinen Kissen, während mehrere seiner Gardisten die Kosten einer Desertion durchkalkulierten. Tibe, Jitenji und Renech wichen zurück mit offenstehenden Mündern. Das Wesen war ihnen schon gestern Nacht gigantisch erschienen, aber jetzt sahen sie es erstmals in seiner leuchtenden Röte.
Orogontorogon stand still, die Füße von Wellen umknistert, schaute sich um, verlagerte dann beinahe schüchtern die Pfoten, wandte sich um und blickte aufs Meer hinaus wie vorher Dereiferer. Dann begann er zu bellen. Es klang wie Donnern, durch keinerlei Blitz angekündigt. In der Stadt sanken Frauen zu Boden. Ein Mann stürzte von einem Esel und schlug hart auf.
»Er bellt etwas aus«, stellte Dereiferer fest. »Die grüne Insel. Er weiß, wo sie liegt.«
»Das mag sein«, stimmte Adain ihm zu. »Ich kann etwas funkeln sehen in ihm, ein Smaragd auf grünem Sand. Ich denke, er ist dort gestorben.«
»Gestorben?«
»Er ist nur ein Geist«, sagte Adain lächelnd. »Und dennoch könnte er eure Stadt zwischen die Zähne nehmen und sie mir zuwerfen, wenn ich ihn darum bitte.« Sie breitete die Arme wieder aus, und Orogontorogon wurde durchscheinend, trügerisch, fiel in sich zusammen, Hundeleib wurde zu stürzendem Wasser, Tibe und Jitenji wichen quiekend noch weiter zurück, die Küste nahm ihr Material wieder in sich auf, der rote Nebel fauchte
Weitere Kostenlose Bücher