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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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und in Scheiben geschnitten, die so dünn sind, dass sie Licht durchlassen. Danach werden sie auf Glasdias fixiert und mit verschiedenen Farbstoffen eingefärbt, die in der Textilindustrie des neunzehnten Jahrhunderts erfunden wurden.
    Hauptsächlich bekommt Scarpetta jetzt verschiedene Rosa- und Blautöne zu Gesicht. Doch es wird eine große Bandbreite von Farben verwendet, was vom Gewebe, der Zellstruktur und den möglichen Defekten abhängt, die auf der anderen Seite der Linse ihre Geheimnisse herausrücken sollen. Die Farben sind wie Krankheiten häufig nach ihrem Entdecker oder Erfinder benannt, und das macht die Histologie so unnötig kompliziert, wenn nicht sogar zum Ärgernis. Es genügt nicht, eine Farbe oder Färbetechnik einfach nur als »blau« oder »violett« zu bezeichnen. Nein, es muss Cresylblau, Cresylviolett oder Perls Preußischblau, Heidenhains Hämatoxylin (ein bläuliches Rot), Masons Trichrom (Blaugrün), Bielschowsky (neutrales Rot) oder ihre Lieblingsmischung, Jones’ Methenamin- Silber, sein. Ein typisch selbstdarstellerisches Pathologenvermächtnis ist die van-Gieson-Färbung eines Schwannschen Zellnukleus aus einem Schwannom; Scarpetta ist rätselhaft, was sich der deutsche Naturwissenschaftler Theodor Schwann davon versprach, einen Tumor nach sich benennen zu lassen.
    Sie betrachtet durch die Linse die Schließmuskel in dem rosa eingefärbten Gewebe, das bei der Autopsie von CharlotteDards Herz entnommen wurde. Einige Fasern haben keine Zellkerne, was auf Nekrose oder abgestorbenes Gewebe hinweist. Andere Dias zeigen rosa und blau eingefärbte Entzündungen, alte Vernarbungen und Verengungen der Koronararterien. Die Frau aus Louisiana war erst zweiunddreißig, als sie an der Tür eines Motelzimmers in Baton Rouge tot zusammenbrach, zum Ausgehen gekleidet und den Schlüssel in der Hand.
    Vor acht Jahren, zum Zeitpunkt ihres Todes, vermutete man, der Familienapotheker habe sie illegal mit dem starken Schmerzmittel OxyContin versorgt, da dieses in ihrer Handtasche gefunden wurde, obwohl ihr das Medikament nie verschrieben worden war. In einem Brief an Scarpetta deutet Dr. Lanier an, besagter Apotheker könne in Palm Desert, Kalifornien, untergetaucht sein. Allerdings verrät Dr. Lanier nicht, worauf sich diese Vermutung stützt, und auch nicht, warum er den Fall Charlotte Dard wieder aufrollen möchte.
    Eine schöne Bescherung, und zwar aus einer ganzen Reihe von Gründen: Der Fall ist alt; es gibt keine Beweise dafür, dass das Medikament tatsächlich von dem Apotheker stammte; und selbst wenn das so sein sollte, hat der sich nicht des vorsätzlichen Mordes schuldig gemacht, sofern er nicht geplant hat, das Opfer mit OxyContin zu vergiften; als Charlotte Dard starb, hat sich der Apotheker geweigert, mit der Polizei zu sprechen, stattdessen schickte er seinen Anwalt vor, der behauptete, ein Freund der Familie, der unter einem Bandscheibenvorfall litte, habe Charlotte das OxyContin gegeben. Aller Wahrscheinlichkeit nach habe sie versehentlich eine Uberdosis eingenommen.
    Es sind auch einige Kopien von Briefen dabei, die Dr. Lanier vor acht Jahren vom Anwalt des Apothekers - Rocco Caggiano - erhielt.

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    Unter dem Fenster vor Scarpettas Schreibtisch kriechen die Schatten über Sanddünen, als die Sonne weiterwandert. Palmwedel rascheln leise, und ein Mann, der seinen gelben Labrador am Strand spazieren führt, stemmt sich gegen den Wind. Weit draußen am dunstigen Horizont fährt ein Containerschiff nach Süden, vermutlich nach Miami. Wenn Scarpetta sich weiter so in ihre Arbeit vertieft, wird sie Zeit und Ort vergessen und wahrscheinlich wieder den Flug nach New York verpassen.
    Dr. Lanier geht ans Telefon und meldet sich mit heiserer Stimme: »Hallo.«
    »Sie klingen ja schrecklich«, bemitleidet ihn Scarpetta.
    »Keine Ahnung, was ich mir da eingefangen habe, aber ich fühle mich scheußlich. Danke für den Rückruf.«
    »Was für Medikamente nehmen Sie? Hoffentlich etwas Schleimlösendes und einen Hustenunterdrücker mit schleimlösender Wirkung. Und Finger weg von Antihistaminen. Versuchen Sie es tagsüber mit Medikamenten, die nicht müde machen und die kein Antihistamin oder Doxylamin-Sukzinat enthalten - außer, Sie wollen austrocknen und sich dazu noch eine Bakterieninfektion holen. Und meiden Sie Alkohol, der senkt die Immunabwehr.«
    Dr. Lanier putzt sich die Nase. »Ich bin selbst Arzt, nur damit Sie’s wissen. Und außerdem Suchtexperte, also kenne ich mich mit Medikamenten

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