Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
vor einer knappen Stunde also, am Kennedy-Flughafen abgesetzt hat. Wenigstens hatten sie kein Gepäck, das verloren gehen konnte, denn ihre wenige Habe passte in eine kleine Tasche. Bevor sie Deutschland verließen, haben sie geduscht und die Kleidung beseitigt, die sie im Radisson Hotel in Stettin getragen haben.
    Lucy hat sämtliche Fingerabdrücke von ihrem Totschläger abgewischt und die Waffe - ohne stehen zu bleiben - durch das einen Spalt weit offene Fenster eines verbeulten Mercedes in einer ruhigen, schmalen Straße geworfen, wo viele Fahrzeuge parkten. Der Eigentümer des Mercedes wird sich sicher über den Totschläger wundern und sich fragen, wie und warum er auf seinen Vordersitz geraten ist.
    »Fröhliche Weihnachten«, hat Lucy gemurmelt und ist dann mit Rudy rasch in der Dämmerung verschwunden.
    Der Morgen war zwar zu kalt und dunkel für Schmeißfliegen, aber ab dem Nachmittag, wenn Rudy und Lucy längst fort sein würden, würden die Fliegen in Polen aufwachen. Weitere Exemplare der widerwärtigen geflügelten Insekten würden Rocco Caggianos angelehntes Fenster finden und laut summend hineinschwirren, um sich an seiner kalten, starren Leiche zu laben. Ganz bestimmt werden die Fliegen dabei Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von Eiern ablegen.
    Ein Hinweis genügt für Zach Manham, Lucys Bürochef, um zu wissen, dass seine Brötchengeberin nicht sie selbst ist und dass ihr unterwegs etwas Schreckliches zugestoßen sein muss: Sie hat starken Körpergeruch. Selbst wenn Manham mehrere Stunden mit Lucy im Fitnessstudio verbringt oder kilometerweit joggt, stinkt sie nicht so. Es ist der durchdringende Geruch nach Angst und Stress, für den man gar nicht stark zu schwitzen braucht. Der wenige abgesonderte Schweiß ist klebrig, sammelt sich in den Achselhöhlen, durchdringt die Kleidung und wird mit der Zeit immer unangenehmer. Hinzu kommen ein erhöhter Puls, flacher Atem, Blässe und verengte Pupillen. Manham hat keine Ahnung, welche Abläufe im menschlichen Körper dahinter stecken - und dieses Wissen ist auch gar nicht nötig -, aber er hat schon zu Anfang seiner früheren Karriere bei der New Yorker Staatsanwaltschaft gelernt, diese Reaktion zu erkennen.
    »Geh heim und ruh dich aus«, fordert er Lucy immer wieder auf.
    »Lass mich in Frieden«, faucht sie ihn schließlich an und widmet sich dem großen Digitalrekorder auf Manhams Schreibtisch.
    Nachdem sie einen Kopfhörer aufgesetzt hat, drückt sie wieder auf die »Play«-Taste und regelt die Lautstärke.
    Zum dritten Mal lauscht sie der geheimnisvollen Botschaft, die ihre hoch technisierte Rufnummererkennung bis in die Justizvollzugsanstalt Polunsky zurückverfolgt hat, obwohl der Anruf laut Satellit mehr oder weniger direkt vor der Tür von Lucys Bürogebäude getätigt wurde. Vielleicht sogar drinnen im Haus. Sie drückt auf »Off« und lässt sich erschöpft und verzweifelt auf einen Stuhl fallen.
    »Verdammte Scheiße!«, ruft sie. »Ich kapiere das nicht! Hast du Mist gebaut, Zach?«
    Sie reibt sich das Gesicht. Ein Rest Wimperntusche klebt an ihren Wimpern und geht ihr auf die Nerven. Als sie sich in ein hübsches junges Ding verwandelt hat, um im Radisson in Stettin nicht aufzufallen, hat sie versehentlich wasserfeste Tusche erwischt, und dabei hasst sie Wimperntusche. Natürlich hatte sie keinen Make-up-Entferner dabei, denn mit Kosmetika kennt sie sich nicht besonders gut aus. Also hat sie sich nur fest das Gesicht abgeschrubbt und damit lediglich erreicht, dass ihr Seife in die Augen geraten ist. Jetzt sind sie blutunterlaufen und verquollen, als hätte sie die ganze Nacht getrunken.
    Mit seltenen Ausnahmen ist Alkohol im Büro verboten, und ihre ersten Worte, als sie vor einer knappen Stunde - gefolgt von einer Geruchswolke - hier erschienen ist, lauteten, dass sie sich nicht die Kante gegeben habe. Allerdings hätten weder Manham noch sonst jemand das auch nur eine Sekunde lang vermutet.
    »Ich habe keinen Mist gebaut«, erwidert Manham geduldig und mustert sie besorgt.
    Er geht auf die fünfzig zu, ist eins achtzig groß und hat dichtes braunes Haar, das an den Schläfen leicht ergraut. Seinen ehemals starken Bronx-Akzent hat er abgeschwächt und kann ihn, wenn nötig, ganz ablegen. Manham ist der geborene Schauspieler, der sich mit erstaunlicher Geschicklichkeit jeder Umgebung anpasst. Die Frauen finden ihn unwiderstehlich und amüsant, was er zu seinem beruflichen Vorteil ausnutzt. Moral zählt nicht im Letzten Revier, solange

Weitere Kostenlose Bücher