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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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selbst?«
    »Rocco ...«, antwortet Lucy kaum hörbar.
    Sie steckt zu tief drin. Es ist zu spät. Sie hat das verzweifelte Bedürfnis, sich alles von der Seele zu reden.
    »... in seinem Hotelzimmer«, fügt sie hinzu.
    »Mein Gott«, murmelt Berger.
    »Wir hatten keine andere Wahl, Jaime. Es war wie bei den Soldaten im Irak, verstehst du?«
    »Nein, das verstehe ich nicht.« Wieder schüttelt Berger den Kopf. »Wie, zum Teufel, konntest du so etwas tun?«
    »Er wollte sterben.«

79
    Lucys Füße stehen auf dem schönsten Perserteppich, den sie je gesehen und auf dem sie schon oft gestanden hat, und zwar in vielen angenehmen, mit Jaime Berger verbrachten Stunden.
    Nun haben sie an entgegengesetzten Enden des Wohnzimmers Posten bezogen.
    »Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass du dich als Prostituierte verkleidest und in Streit mit einem Betrunkenen gerätst«, fährt Berger fort. »Das war schlampige Arbeit von dir.« »Ich habe einen Fehler gemacht.«
    »Das kannst du laut sagen.«
    »Ich musste umkehren, um meinen Totschläger zu holen«, erklärt Lucy.
    »Wer von euch beiden hat abgedrückt?«
    Die Frage erschreckt Lucy. Sie will sich nicht erinnern. »Rocco hatte vor, Marino zu töten, seinen eigenen Vater«, wiederholt sie. »Wenn Marino das nächste Mal zum Angeln gefahren wäre, hätte Rocco ihn abgeknallt. Er wollte sterben. Er hat sich in gewisser Weise selbst umgebracht.«
    Berger blickt, die Hände fest ineinander verschränkt, auf die Stadt hinaus. »Er hat sich in gewisser Weise selbst umgebracht. Ihr habt ihn in gewisser Weise getötet. Jetzt ist er irgendwie tot. Das klingt wie ein bisschen schwanger oder ein bisschen Meineid.«»Wir mussten es tun.«
    Berger will das nicht hören. Aber ihr bleibt nichts anderes übrig.
    »Wirklich. Ich schwöre.«
    Die Staatsanwältin schweigt.
    »Er war zur Fahndung ausgeschrieben und hätte ohnehin nicht mehr lange gelebt. Die Chandonnes hätten ihn erledigt, und zwar auf eine nicht unbedingt angenehme Art.«
    »Jetzt versuchst du dich mit Sterbehilfe herauszureden«, entgegnet Berger schließlich.
    »Was ist der Unterschied zu dem, was unsere Soldaten im Irak getan haben?«
    »Nun muss wohl auch noch der Weltfrieden herhalten.«
    »Roccos Leben war eigentlich vorbei.«
    »Und zu guter Letzt lautet deine Entschuldigung wohl, dass er sowieso schon tot war.«
    »Bitte mach dich nicht lustig über mich, Jaime!«
    »Soll ich dich etwa beglückwünschen?«, spricht Berger weiter. »Und mich hast du mit in die Scheiße geritten, denn jetzt weiß ich darüber Bescheid. Ich weiß Bescheid.« Berger wiederholt jedes Wort ganz langsam. »Bin ich jetzt vollkommen verblödet? Mein Gott! Ich habe dagesessen« - sie wirbelt herum und zeigt mit dem Finger auf Lucy - »und die gottverdammten Berichte für dich übersetzt. Genauso gut hättest du in mein Büro spazieren, einen Mord gestehen und von mir die Antwort bekommen können: Mach dir keine Sorge, Lucy. Wir alle machen Fehler. Oder: Es ist ja in Polen geschehen. Dafür bin ich nicht zuständig, also zählt es nicht. Oder: Erzähl mir, wie es war, wenn du dich dann besser fühlst. So als wäre ich, wenn ich mit dir zusammen bin, keine richtige Staatsanwältin. Als hätte es keine Bedeutung für meinen Beruf, solange wir allein in meiner Wohnung sind.«

80
    Das Fluidum, so weiß wie Licht und durchsetzt von sprühenden Funken. Seite 47! Wer ist da?
    »Verdammte Scheiße!« Augen blitzen im Gitterfenster auf, diesmal sind es andere als sonst.
    Jean-Baptiste spürt, dass die Augen Hitze abstrahlen. Sie sind nichts weiter als kleine, verlöschende Stückchen Glut.
    »Chandonne, halt dein verfluchtes Maul! Hör auf mit diesem Seitenzahlenscheiß! Verdammt, mich kotzt dieser Seitenzahlenscheiß an. Hast du da drinnen etwa ein Buch versteckt?« Der Blick huscht durch die Zelle wie vom Wind verteilte Funken. »Und nimm deine dreckigen Pfoten aus der Hose, Ringelschwanz.«
    Das vertraute hasserfüllte Gelächter. »Ringelschwanz! Ringelschwanz, Ringelschwanz ...!« Biests Stimme scheint direkt aus der Hölle zu kommen.
    Einmal ist Jean-Baptiste auf sieben Meter an Biest herangekommen. So viel beträgt der Abstand zwischen dem Gitterfenster in Jean-Baptistes Tür und dem geschlossenen Freizeitbereich eine Etage tiefer.
    In der einen Stunde, die ein Insasse des Todestrakts mit den nötigen Vergünstigungen auf der rechteckigen, wie ein Zookäfig von dickem Maschendraht umgebenen Holzfläche verbringen darf, gibt es nichts zu tun.

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