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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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scheint Scarpetta heranzuwinken. Der Himmel besteht aus blauem Glas, die Temperaturen sind eher herbstlich. Die Vögel plaudern miteinander, und die Natur lebt, unberührt vom Bösen, weiter.

91
    Das Leben in Zellenblock A ändert sich nie.
    Verurteilte Sträflinge kommen und gehen, die Namen früherer Gefangener versinken in Vergessenheit. Nach Tagen oder vielleicht Wochen - Jean-Baptiste verliert häufig das Zeitgefühl - sind die Namen der Neuen, die eintreffen, um auf den Tod zu warten, untrennbar mit den Zellen verbunden, wo gerade noch ihre Vorgänger, ebenfalls auf den Tod wartend, saßen. Zellenblock A, Zelle 25 ist Biest, der in wenigen Stunden in eine andere Zelle verlegt werden wird. Zellenblock A, Zelle 30 ist Jean-Baptiste. Zellenblock A, Zelle 31, gleich neben Jean-Baptiste, ist Motte. Der nekrophile Mörder, der sich erst rührt, wenn die Lichter abgeschaltet werden, hat zitternde, flatternde Hände und eine fast graue Haut. Da er am liebsten auf dem Boden schläft, ist seine Sträflingsuniform immer mit Staub bedeckt - wie der Staub auf den Flügeln einer Motte.
    Jean-Baptiste rasiert seine Handrücken. Lange Haarwirbel fallen in das Waschbecken aus Edelstahl.
    »Also, Haarmonster.« Augen spähen durch das winzige Fenster in der Tür. »Deine Viertelstunde ist gleich vorbei. In zwei Minuten nehme ich dir den Rasierer weg.«
    »Certainement.« Er schäumt die andere Hand mit billig riechender Seife ein und rasiert weiter, wobei er auf seine Fingerknöchel aufpasst.
    Bei den Haarbüscheln in den Ohren wird es schwierig, aber er schafft es.
    »Die Zeit ist um.«
    Jean-Baptiste spült ordentlich den Rasierer aus.
    »Du hast dich rasiert.« Motte spricht sehr leise, so leise, dass die anderen Insassen nur selten ein Wort verstehen.
    »Oui, mon ami. Und ich sehe recht hübsch aus.«
    Der Schlüssel, der an ein Stemmeisen erinnert, wird in denSchlitz unten an der Tür gestoßen, und eine Schublade fährt aus. Der Wachmann weicht zurück, außer Reichweite der bleichen, haarlosen Finger, die den blauen Plastikrasierer hineinlegen.

92
    Motte sitzt da und rollt einen Basketball gegen die Wand, und zwar genau so, dass er immer in einer geraden Linie zu ihm zurückkehrt.
    Er ist ein Versager und so schwach, dass ihm das Morden nur Freude bereitete, weil er so Sex mit Toten haben konnte. Tote haben keine Kraft, ihr Blut ist nicht mehr magnetisch. Ein Mensch mit einer schweren Kopfverletzung hingegen kann noch eine Weile weiterleben, lange genug, dass Jean-Baptiste lebendiges Fleisch und Blut beißen und saugen kann, um seinen Magnetismus wieder aufzuladen.
    »Ein wunderschöner Tag, findest du nicht?« Mottes leiser Kommentar weht in Jean-Baptistes Zelle, weil er die Ohren hat, um die kaum vernehmbare Stimme zu hören. »Keine Wolken, aber dann wird es ein wenig Quellbewölkung geben, die am späten Nachmittag nach Süden weiterzieht.«
    Motte hat ein Radio und verfolgt wie ein Besessener den Wetterbericht.
    »Ich sehe, dass Miss Gittleman ein neues Auto hat, einen niedlichen kleinen BMW-Roadster.«
    Da jede Zelle ein Fenster mit Schlitzen besitzt, haben die Insassen des Todestrakts Aussicht auf den Parkplatz hinter dem Gefängnis. Und da es sonst nichts zu sehen gibt, starren sie den Großteil des Tages nach draußen. In gewisser Hinsicht handelt es sich bei Mottes Bemerkung um einen Akt der Einschüchterung. Indem er Miss Gittlemans BMW erwähnt, spricht er die schwerste Drohung aus, die ihm in seiner derzeitigen Lage möglich ist. Bestimmt werden die Wachmänner seine Äußerung gegenüber Kollegen wiederholen, die ihrerseits Miss Gittleman, der jungen und sehr hübschen Pressesprecherin berichten werden, den Häftlingen sei ihr neues Auto aufgefallen. Kein Gefängnismitarbeiter hat es gern, wenn Straftäter, die so bösartig sind, dass sie sogar zum Tode verurteilt wurden, etwas über sein Privatleben erfahren.
    Vermutlich ist Jean-Baptiste der einzige Gefangene, der fast nie durch den Schlitz schaut, welcher sich Fenster nennt. Nachdem er sich jedes Fahrzeug inklusive Farbe, Fabrikat, Modell, selbst manche Zulassungsnummern sowie das genaue Aussehen der Besitzer eingeprägt hatte, fand er es sinnlos, in den blitzblauen oder bewölkten Himmel zu starren. Jetzt aber steht er von der Toilette auf, ohne sich die Mühe zu machen, sich die Hose hochzuziehen, und schaut durch das Fenster oben an der Decke. Mottes Beobachtung hat seine Neugier geweckt. Nachdem er den BMW erkannt hat, setzt er sich wieder auf die

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