Die Dämonen ruhen nicht
man sich allmählich der Tatsache stellen muss, dass all die kompliziert ausgeklügelten Pläne offensichtlich für die Katz waren.
Benton lehnt an der Wand und behält seinen verbeulten Cadillac im Auge, damit sich ja niemand daran zu schaffen macht. In seinem Kopf läuten sämtliche Alarmglocken. Senator Lord hat ihm gerade mitgeteilt, Scarpetta habe einen Brief in schön geschwungener Handschrift von Chandonne erhalten.
»Woher wissen Sie das?«, erkundigt sich Benton.
»Jaime Berger hat mich gestern Abend angerufen. Zu Hause. Sie war sehr besorgt, Chandonne könnte Scarpetta eine Falle stellen, in die sie hineintappen wird. Berger verlangt von mir, dass ich helfe und mich einschalte. Die Leute vergessen immer, dass auch mir Grenzen gesetzt sind ... nur meine Gegner tun das nie.«
Der Senator würde am liebsten eine Armee von FBI-Agenten nach Baton Rouge beordern, doch selbst er darf das Recht nicht beugen. Die Sonderkommission Baton Rouge müsst e d as FBI bitten, sich an den Ermittlungen zu beteiligen, sie also praktisch zu übernehmen. Bei dieser Entführungsserie - oder Mordserie, denn darum handelt es sich schließlich - hat das FBI ein gewaltiges Zuständigkeitsproblem, weshalb es nicht einfach unaufgefordert in die Ermittlungen platzen darf. Schließlich wurde nicht gegen Bundesgesetze verstoßen.
»Unfähige Idioten«, schimpft Senator Lord. »Gottverdammte, verblödete Hinterwäldler.«
»Wir sind nah dran«, sagt Beton in die Sprechmuschel. »Der Brief bedeutet, dass sich die Situation möglicherweise sehr bald aufklären wird. Allerdings nicht so, wie ich es wollte. Es sieht ziemlich übel aus. Aber um mich selbst mache ich mir keine Sorgen.«
»Kann man etwas tun?«
»Ich bin der Einzige, der dazu in der Lage wäre. Doch das hieße, dass ich meine Tarnung aufgeben müsste.«
Eine lange Pause entsteht. Dann versöhnt sich Senator Lord mit diesem Gedanken. »Ja, das denke ich auch. Allerdings gäbe es in diesem Fall kein Zurück mehr. Wir können so etwas nicht noch einmal durchziehen. Wollen Sie wirklich ... ?«
»Ich muss. Der Brief ändert die Dinge dramatisch, und Sie kennen sie ja. Er lockt sie hin.«
»Sie ist schon dort.«
»In Baton Rouge?« Benton bekommt es mit der Angst zu tun. »Texas, sie ist in Texas.«
»Um Himmels willen. Das ist genauso eine Katastrophe. Nein, nein, nein. Diesmal ist der Brief echt. Sie ist in Texas nicht mehr sicher.«
Kurz überlegt Benton, ob Scarpetta Chandonne tatsächlich besuchen wird. Eigentlich hat er das aus taktischen und persönlichen Gründen so gewollt. Doch wenn er ehrlich mit sich ist, hätte er nie erwartet, dass sie es wirklich tut. Ernsthaft nicht. Trotz all seiner Bemühungen. Inzwischen wäre es ratsam, wenn sie einen großen Bogen um Texas macht. Verdammt. »Während wir uns unterhalten, ist sie bereits dort«, erinnert ihn Senator Lord.
»Frank, er wird versuchen auszubrechen.«
»Ich wüsste nicht, wie. Aus diesem Laden kommt keiner raus, ganz gleich, wie schlau er es auch anstellt. Ich schlage trotzdem sofort Alarm.«
»Dieser Mann ist mehr als schlau. Der Punkt ist, dass er sicher nach Baton Rouge will; sonst würde er sie ja nicht hinlocken. Ich kenne ihn. Und ich kenne sie. Sie wird von Texas aus sofort nach Baton Rouge fliegen - sofern er sie nicht vorher schon in Texas abfängt, falls er es schafft, so schnell loszuschlagen, was wir nicht hoffen wollen. Aber sie schwebt so oder so in großer Gefahr. Nicht nur durch ihn, sondern auch durch seine Verbündeten. Und die sind ganz sicher in Baton Rouge. Gewiss ist sein Bruder dort ... Jetzt ergeben die Morde Sinn. Sein Bruder ist der Täter, und vermutlich hat er eine Komplizin. Da sie noch nicht verhaftet worden ist, nehme ich an, dass er und Bev Kiffin gemeinsam untergetaucht sind.«
»Ist es für gesuchte Verbrecher, die so bekannt sind wie die beiden, nicht sehr riskant, Frauen zu entführen?«
»Er langweilt sich«, erwidert Benton nur.
96
Das Wachpersonal in der Strafanstalt Polunsky trägt graue Uniformen und schwarze Baseballkappen.
Handschellen baumeln an den Gürteln der beiden Wachmänner, die Jean-Baptiste durch eine Reihe schwerer Türen begleiten. Diese fallen so laut ins Schloss, dass es klingt, als würde eine großkalibrige Pistole in einer Stahlkammer abgefeuert. Jeder Knall verleiht Jean-Baptiste neue Kräfte, als er ungehindert da hinschlendert. Nur seine Hände sind gefesselt. Die vielen Tonnen Stahl rings um ihn herum magnetisieren ihn, bis er strahlt
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