Die Dämonen ruhen nicht
versetzt worden«, fügt er hinzu. »Deshalb kenne ich sie nicht.« Wieder weist er mit dem Kopf auf Scarpetta, die sich nicht von ihrem Standort an der Wand wegbewegt hat.
»Eine Gastberaterin«, erwidert Dr. Lanier. »Wenn Sie noch nicht von ihr gehört haben, warten Sie ab. Und jetzt erzählen
Sie mir, was hier passiert ist. Wo ist die Leiche, und wer bewacht sie?«
»In einem vorderen Zimmer; offenbar ist es ein Gästezimmer. Robillard ist dort und fotografiert und so weiter.«
Scarpetta blickt auf, als Nic Robillards Name fällt.
»Gut«, sagt sie.
»Kennen Sie sie?« Detective Clark versteht offenbar die Welt nicht mehr. Gereizt schlägt er wieder nach einer Fliege. »Verdammt, wie ich diese Biester hasse!«
Scarpetta folgt den winzigen Blutspritzern auf Wand und Boden, von denen einige nicht größer sind als ein Stecknadelkopf. Die zulaufenden Enden zeigen in die Fluchtrichtung. Das Opfer lag neben der Sockelleiste auf dem Boden und hat es geschafft, sich wieder aufzurappeln. Die kleinen, länglichen Tropfen an der Wand sehen anders aus als das, was Scarpetta normalerweise zu Gesicht bekommt, wenn der Täter wiederholt auf das Opfer eingeschlagen oder eingestochen hat und das Blut beim Ausholen von der Waffe gespritzt ist.
Offenbar hat alles mit einem gewaltsamen Kampf im Wohnzimmer angefangen. Scarpetta sieht um sich schlagende und zupackende Hände, ausrutschende Füße und vielleicht noch Treten und Kratzen vor sich, die zu diesem Blutbad geführt haben - allerdings fehlen die Tausenden, weit umherspritzenden Blutstropfen, die beim Schwingen einer Waffe entstehen. Vielleicht gab es ja gar keine Waffe, überlegt Scarpetta. Zumindest noch nicht in diesem Stadium des Überfalls. Womöglich war zu Anfang, als der Angreifer zur Haustür hereinkam, eine Faust seine einzige Waffe. Es kann durchaus sein, dass der Täter glaubte, keine Waffe zu brauchen, und dass die Situation dann rasch außer Kontrolle geraten ist.
Dr. Lanier wirft einen Blick auf den hinteren Teil des Hauses. »Eric, geh schon mal vor und schau, ob alles gesichert ist. Wir kommen gleich nach.«
»Was wissen Sie über das Opfer?«, erkundigt sich Scarpetta bei Detective Clark. »Was ist Ihnen sonst über diese Sache bekannt?«
»Nicht viel.« Er blättert einige Seiten in seinem Notizblock um. »Name Rebecca Milton, sechsunddreißig, weiß, weiblich. Bis jetzt wissen wir nur, dass sie dieses Haus gemietet hat. So gegen halb zwölf kam ihr Freund, um sie zum Mittagessen abzuholen. Als sie nicht aufgemacht hat, ist er reingegangen und hat sie gefunden.«
»War die Tür offen?«, fragt Dr. Lanier.
»Ja. Er hat die Leiche gesehen und sofort die Polizei verständigt.«
»Dann hat er sie also auch identifiziert«, meint Scarpetta und richtet sich aus der Hocke auf, weil ihr die Knie wehtun.
Clark zögert.
»Wie gründlich hat er sie sich angesehen?« Scarpetta traut Identifikationen nach Augenschein nicht; außerdem darf man nicht automatisch davon ausgehen, dass es sich bei einem in einem Haus oder in einer Wohnung gefundenen Opfer tatsächlich um den Bewohner handelt.
»Kann ich nicht genau sagen«, erwidert Clark. »Vermutlich hat er sich nicht lange im Schlafzimmer aufgehalten. Sie werden es ja gleich selbst sehen. Sie ist in einem wirklich schlimmen Zustand. Aber Robillard scheint sicher zu sein, dass das Opfer Rebecca Milton ist, also die Dame, die hier gewohnt hat.«
Dr. Lanier runzelt die Stirn. »Woher, zum Teufel, will Robillard das wissen?«
»Sie wohnt zwei Häuser weiter.«
»Wer?«, fragt Scarpetta und lässt den Blick wie eine Kameralinse durch das Wohnzimmer schweifen.
»Robillard wohnt gleich da drüben.« Detective Clark zeigt auf die Straße. »Zwei Häuser weiter.«
»Ach, du lieber Himmel!«, ruft Dr. Lanier aus. »Finden Sie das nicht merkwürdig? Und sie hat weder was gehört noch was gesehen?«
»Es ist mitten am Tag. Sie war auf Streife wie wir anderen auch.«
Wie Scarpetta feststellt, ist es das Haus eines ordentlichen Menschen mit einem verhältnismäßig guten Einkommen und einem teuren Geschmack. Die Orientteppiche sind zwar maschinell gefertigt, aber sehr hübsch. Links von der Eingangstür steht ein Phonoschrank aus Kirschholz mit einer hochmodernen Stereoanlage und einem Großbildschirm-Fernseher. An den Wänden hängen bunte, primitive Gemälde im Cajun-Stil, die in fröhlichen, grellen Primärfarben Fische, Menschen, Gewässer und Bäume darstellen. Rebecca Milton, falls sie das Opfer ist, hat
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