Die Dämonen ruhen nicht
sparsam. Der Großteil des Geldes, von dem mein Vater heute lebt, stammt von meiner Mutter, also aus den Einkünften ihres Ladens.«
»Mrs. Dard hat Drogen genommen«, meint Scarpetta. »Sie ist an einer Überdosis gestorben; entweder handelte es sich um einen Unfall oder um Mord, wobei ich Letzteres vermute. Angeblich litt sie in der Zeit vor ihrem Tod an Blackouts. Wissen Sie etwas darüber?«
»Das wissen alle hier«, entgegnet Nic. »Damals war es in Baton Rouge Stadtgespräch. Sie soll in einem Motelzimmer tot umgefallen sein, und zwar im Paradise Acres Motel. Das klingt wie der Name eines Friedhofs. Der Laden liegt an der Chocktaw, einem ziemlich unschönen Teil der Stadt. Es hieß, sie habe eine Affäre gehabt und sich dort mit ihrem Liebhaber getroffen. Aber ich weiß auch nicht mehr als das, was in den Nachrichten kam.«»Was ist mit ihrem Mann?«, erkundigt sich Lucy.
»Gute Frage. Ich habe nie gehört, dass jemand ihm mal persönlich begegnet wäre. Finden Sie das nicht seltsam? Man sagt, er sei irgendein Adliger, der viel unterwegs ist.«
»Haben Sie mal ein Foto von ihm gesehen?«, will Rudy wissen.
Nic schüttelt den Kopf.
»Also bringen die Nachrichten nie was über ihn.«
»Er ist angeblich sehr medienscheu«, erwidert Nic.
»Und weiter? Was wissen Sie noch über Charlotte Dards Tod?«, hakt Marino nach.
»Denken Sie nach«, fordert Lucy Nic auf.
»Okay ...« Sie holt tief Luft. »Gut. Mir ist noch etwas eingefallen. Ich glaube, Charlotte Dard hatte Mom einmal zu einer Cocktailparty eingeladen. Soweit ich mich erinnere, ging meine Mutter nie zu Cocktailpartys. Sie trank keinen Alkohol, war ziemlich schüchtern und fühlte sich unter reichen Snobs fehl am Platz. Also war es eine große Sache für sie, dass sie trotzdem zusagte. Die Party fand auf der Plantage der Dards statt. Mom wollte hin, um neue Kundschaft für ihren Laden zu gewinnen und um ihrer besten Kundin Mrs. Dard eine Freude zu machen.«
»Wann war das?«, erkundigt sich Scarpetta.
Nic überlegt. »Kurz bevor meine Mutter ermordet wurde.«
»Wie lange ist kurz?«, fragt Rudy.
»Keine Ahnung.« Nic schluckt schwer. »Ein paar Tage. Ich glaube, es waren nur ein paar Tage. Sie hatte ein Kleid an, das sie sich extra für die Party gekauft hatte.« Sie schließt die Augen und unterdrückt einen Schluchzer. »Es war rosa mit weißen Paspeln. Als sie ermordet wurde, hing es noch an der Schranktür, wissen Sie? Es hing da, damit sie nicht vergaß, es in die Reinigung zu bringen.«
»Und Ihre Mutter starb knapp zwei Wochen vor Charlotte Dard«, stellt Scarpetta fest.»Irgendwie interessant«, merkt Marino an. »Es fand auch niemand seltsam, dass eine durchgeknallte Frau wie Mrs. Dard, die unter Blackouts litt, eine Gartenparty veranstaltete.«
»Dasselbe habe ich auch gerade gedacht«, sagt Rudy.
»Wisst ihr was?« Marino gähnt herzhaft. »Ich bin fast zwanzig Stunden lang Auto gefahren. Dann hat Lucy mich durch die Luft kutschiert, bis mir übel wurde. Ich gehe jetzt ins Bett. Sonst besteht noch die Gefahr, dass ich Schlussfolgerungen ziehe, die zur Verhaftung des Nikolaus führen.«
»Dass dir schlecht geworden ist, ist nicht meine Schuld«, entgegnet Lucy. »Leg dich aufs Ohr. Du brauchst deinen Schönheitsschlaf. Ich habe schon fast gedacht, du wärst der Nikolaus.«
Marino steht auf und geht in Richtung Haupthaus hinaus.
»Ich glaube, ich halte auch nicht länger durch.« Scarpetta erhebt sich aus ihrem Sessel.
»Okay, Zeit zum Aufbruch«, meint Nic.
»Sie können ruhig bleiben«, bietet Scarpetta ihr an.
»Darf ich Sie noch was fragen?«, möchte Nic wissen.
»Aber natürlich.« Scarpetta ist so müde, dass sich ihr Gehirn anfühlt wie tiefgefroren. Der Schock, den die Nachricht von Jean-Baptiste Chandonnes Flucht ausgelöst hat, ist noch nicht verklungen.
»Welchen Grund hatte er, meine Mutter totzuschlagen?«
»Welchen Grund hatte jemand, Rebecca Milton totzuschlagen?«, entgegnet Scarpetta.
»Es ist anders gelaufen als geplant.«
»Glauben Sie, dass Ihre Mutter sich gewehrt hat?«, fragt Lucy.
»Sie hätte ihm bestimmt die Augen ausgekratzt«, erwidert Nic.
»Vielleicht ist das die Antwort ... Bitte verzeihen Sie, aber ich bin so müde, dass ich Ihnen im Moment nicht mehr weiterhelfen kann.«
Scarpetta verlässt das kleine Wohnzimmer und schließt die Schlafzimmertür hinter sich.
»Wie fühlen Sie sich?« Lucy setzt sich neben Nic aufs Sofa und sieht sie an. »Es muss wirklich schlimm für Sie sein; so
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