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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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auffälliges Äußeres ist unmöglich zu tarnen, weil er zu eitel ist, um seine Schönheit aufs Spiel zu setzen. Wenn er an Land geht, dann nur, um Geld aus dem Familienversteck zu holen, nicht etwa, um etwas zu erledigen. Für die Einkäufe ist Bev zuständig, weil sie ihrem Foto auf der FBI-Liste der meistgesuchten Verbrecher kaum noch ähnlich sieht. Ihre Haut ist von der Sonne gegerbt, der Körper aufgedunsen, das Gesicht verquollen und ihr Haar kurz geschnitten.
    »Warum können wir die Tür nicht zumachen?«, fragt Bev, als sie aus dem winzigen, schmutzigen Bad kommt.
    Er geht zum Kühlschrank, einem bauchigen, weißen, mit Rostflecken übersäten Überbleibsel aus den Sechzigern, und nimmt sich noch ein Bier.»Ich habe es gern heiß«, antwortet er. Seine Schritte klingen schwer auf den alten Bohlen.
    »Die Kühle aus der Klimaanlage geht direkt zur Tür raus.« Darüber beschwert sie sich öfter. »Irgendwann ist das Benzin für den Generator alle.«
    »Dann musst du eben losfahren und neues besorgen. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du deinen fetten Arsch bewegen und welches kaufen sollst?«
    Er starrt sie an. Sein Blick ist seltsam wie immer, wenn er mit seinem Ritual beschäftigt ist. Die Erektion drückt gegen seinen Reißverschluss, und bald wird er sich erleichtern - zu einem Zeitpunkt, den er selbst sich aussucht. Körpergeruch und Verwesungsgestank wehen an ihr vorbei, als er den Eimer nach draußen bringt; die Fliegen folgen ihm in einer wild summenden Wolke. Er macht sich daran, die Krabbentöpfe an ihren gelben Nylonseilen nach oben zu ziehen. Er hat Dutzende davon. Die Stücke, die so groß sind, dass sie nicht hineinpassen, wirft er einfach ins Wasser, wo die Alligatoren sie auf den Grund ziehen und verspeisen werden, wenn ihnen danach ist. Schädel stellen das größte Problem dar, weil man jemanden anhand von ihnen identifizieren kann. Ein weiteres seiner Rituale besteht deshalb darin, Schädel zu Staub zu zerstoßen, den er mit pulverisierter weißer Kreide mischt und in leeren Farbdosen aufbewahrt. Der kreidige Knochenstaub erinnert ihn an die Katakomben, die sich fünfundzwanzig Meter unter den Straßen von Paris dahinschlängeln.
    Dann geht er hinein, lässt sich auf das schmale Bett fallen, das an der Wand steht, und verschränkt die Hände hinter dem Kopf. Bev schlüpft aus ihrer zerrissenen Bluse und reizt ihn wie eine Stripperin. Er ist ein Meister im Abwarten und rührt sich nicht, als sie seine Lippen streift. Sie spürt ein unerträgliches Pochen. Manchmal dauert es sehr lang, ganz gleich, wie sehr sie auch bettelt, bis er bereit ist, und dann - nur dann - beißt er zu. Aber nie so fest, dass es Spuren hinterlässt, denn er hält den Gedanken nicht aus, dass er Jean-Baptiste, seinem Bruder, ähnlich sein könnte.
    Früher hat Jay so gut gerochen und geschmeckt. Doch nun, seit er auf der Flucht ist, wäscht er sich kaum noch, und wenn doch, überschüttet er sich einfach eimerweise mit Wasser aus dem Bayou. Bev wagt es nicht, sich zu beschweren oder auch nur die leiseste Reaktion auf den Gestank aus seinem Mund oder zwischen seinen Beinen zu zeigen. Als sie ein einziges Mal gewürgt hat, hat er ihr die Nase gebrochen und sie gezwungen weiterzumachen; ihr Blut und ihre leisen Schmerzensschreie haben ihn aufgegeilt.
    Wenn sie die Hütte sauber macht, schrubbt sie die Stelle unter dem Bett wie eine Besessene. Aber Blutflecken sind hartnäckig, wie etwas aus einem Horrorfilm, denkt sie. Die Bleiche hat einen unregelmäßigen, weißlich braunen Fleck von der Größe eines Fußabstreifers hinterlassen, über den Jay sich ständig beklagt, als hätte er mit seiner Entstehung nichts zu tun.

12
    Jean-Baptiste Chandonne sitzt wie der »Denker« von Rodin auf der Edelstahltoilette. Die weiße Hose ist ihm über seine bepelzten Knie gerutscht. Die Strafvollzugsbeamten verspotten ihn. Es hört nie auf. Das spürt er, während er auf der Toilette kauert und auf die verschlossene Stahltür seiner Zelle starrt. Die Eisenstäbe der winzigen Luke werden vom Eisen in Jean-Baptistes Blut angezogen. Der animale Magnetismus ist eine heute kaum noch beachtete wissenschaftliche Tatsache, die auch schon vor Jahrhunderten von den meisten Menschen nicht anerkannt wurde. Dabei belegen dokumentierte Fälle, dass man magnetisierte Teile an kranke oder geschädigte Körperstellen hielt, worauf sämtliche Symptome zum Erliegen kamen und der Patient wieder gesundete. Jean-Baptiste ist gut vertraut mit den

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