Die Dämonen ruhen nicht
Lehren des berühmten Dr. Mesmer, dessen Behandlungsmethoden in dem Werk »Memoir sur la Decouverte du Magnetisme Animal« ausführlich erläutert werden.
Das ursprüngliche Werk, 1779 auf Französisch veröffentlicht, ist Jean-Baptistes Bibel. Bevor seine Bücher und das Radio konfisziert wurden, hatte er lange Passagen von Mesmer auswendig gelernt, und er glaubt fest daran, dass ein universelles magnetisches Fluidum Gezeiten und Menschen beeinflusst.
»Ich besaß das übliche Wissen über den Magneten: sein Verhalten zu Eisen, die Fähigkeit unserer Körperflüssigkeiten, dieses Mineral aufzunehmen ...«, hat Mesmer geschrieben, und Jean-Baptiste zitiert lautlos aus dem Buch, während er auf der Toilette nachgrübelt. »... Ich bereitete den Patienten durch die dauerhafte Anwendung von Chalybeata vor ...«
Ein Chalybeatum ist ein Eisentonikum, doch wer außer Jean-Baptiste weiß das? Wenn er nur das eine Chalybeatum, das richtige natürlich, finden könnte, wäre er geheilt. Vor seiner Verhaftung hat er versucht, Eisennägel in Trinkwasser einzulegen, Rost zu essen, mit Eisenstücken unter dem Bett zu schlafen und Muttern, Schrauben und Magneten in seinen Hosentaschen herumzutragen. Allmählich ist in ihm dann die Überzeugung gewachsen, dass sein Chalybeatum der Eisenanteil im menschlichen Blut ist, doch er konnte nicht genug davon bekommen, bevor er ins Gefängnis musste, und jetzt hat er überhaupt keinen Zugriff mehr darauf. Wenn er sich, was selten vorkommt, selbst beißt und saugt, nützt das überhaupt nichts. Es ist, als würde man gegen Anämie sein eigenes Blut trinken.
Franz Anton Mesmer wurde von religiösen und wissenschaftlichen Kreisen verspottet, genau wie sich die ganze Welt stets über Jean-Baptiste lustig gemacht hat. Die wahren Anhänger von Mesmer spiegelten der Öffentlichkeit deshalbSkepsis vor - oder verwendeten, wenn sie sich positiv zu diesem Thema äußerten, Pseudonyme, um nicht als Quacksalber abgestempelt zu werden. »The Philosophy of Animal Magnetism«, das 1837 erschien, stammt zum Beispiel aus der Feder eines »Herrn aus Philadelphia«, wobei einige Zeitgenossen Edgar Allan Poe in Verdacht hatten. Bücher wie dieses landeten normalerweise an Universitäten, wo sie nach einer Weile von den Bibliotheken aussortiert wurden. Auf diese Weise ist Jean-Baptiste für ein Butterbrot zu einer kleinen, aber sehr interessanten Sammlung gekommen.
Ständig muss er daran denken, was wohl aus seinen Büchern geworden ist. An seinem Hals pocht ein Puls, während er auf der Toilette sitzt und grübelt. Die Werke, die er aus Frankreich mitgebracht hat, sind ihm zur Strafe weggenommen worden, als der Disziplinarausschuss des Gefängnisses ihn von Stufe eins auf Stufe drei degradiert hat, angeblich, weil er masturbiert und gegen die Essensvorschriften verstoßen hat. Jean- Baptiste verbringt viel Zeit auf der Toilette. Die Wachen bezeichnen das als Masturbieren.
Zweimal an ein und demselben Tag - er weiß nicht, wie lange es schon her ist - hat er daneben gegriffen, als das Essenstablett durch den Spalt unter der Tür geschoben wurde. Das Essen spritzte in alle Richtungen, und man deutete die Zwischenfälle als Absicht. Deshalb hat man ihm sämtliche Vergünstigungen entzogen, natürlich auch seine Bücher. Er bekommt nur eine Stunde Ausgang aus seiner Zelle pro Woche. Aber das spielt keine Rolle. Schließlich hat er immer noch die Möglichkeit, Briefe zu schreiben. Die Wachen verstehen die Welt nicht mehr.
»Wie kann er, verdammt noch mal, Briefe schreiben, wenn er blind ist?«, fragen sie sich untereinander.
»Keine Ahnung, ob er wirklich nichts sieht. Manchmal scheint er blind zu sein, dann wieder nicht.«
»Ein Simulant?«»Ein durchgeknallter Spinner, Mann.«
Jean-Baptiste kann in seiner achtzehn Quadratmeter großen Zelle Liegestützen, Rumpfbeugen und Hampelmänner machen, wie er lustig ist. Die Anzahl der Besuche von draußen wurde eingeschränkt. Aber das ist auch nicht wichtig. Zu ihm wollen sowieso nur Reporter oder Ärzte, Profiler und andere Wissenschaftler, die ihn untersuchen, als wäre er eine neue Art von Virus. Jean-Baptistes Haft, die Verletzung seiner Menschenrechte und der bevorstehende Tod haben seine Seele zu einem grellen Licht, getupft mit weißen Punkten, zusammengeballt.
Er ist dauerhaft magnetisiert und ein Schlafwandler, und seine hellseherischen Fähigkeiten verschaffen ihm auch ohne Augen Durchblick. Er hat zwar Ohren, braucht sie aber nicht zum Hören. Er kann
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