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Die Dämonen ruhen nicht

Die Dämonen ruhen nicht

Titel: Die Dämonen ruhen nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Standardsprüche, von denen er nie abweicht.
    Sie bemerkt, wie seine Zähne beim Sprechen blitzen, und weiß, dass es ihn freut, wenn si e ihn mitten in der Nacht zu ei ner geheimen Unterredung aus dem Haus holt, deren Inhalt nicht für die Ohren eines kleinen Kindes bestimmt ist.
    »Ich weiß, dass du nicht darüber sprechen möchtest«, beginnt Nic. »Aber es geht um Mama.« Sie spürt, wie er zusammenzuckt und sich zurückzieht, als wäre die Seele plötzlich aus seinem Körper geflohen. »Ich muss mehr erfahren, Papa. Die Ungewissheit belastet mich. Vielleicht liegt es daran, was zurzeit hier los ist. An den verschwundenen Frauen. Ich habe so ein komisches Gefühl, keine Ahnung, wie ich es sonst ausdrücken soll. Aber ich spüre etwas ... etwas Schreckliches.« Ihre Stimme zittert. »Und es macht mir Angst, Papa. Das Gefühl, das ich manchmal habe, macht mir schreckliche Angst.«
    Sein Schweigen ist so massiv wie der Baum, unter dem sie stehen.
    »Erinnerst du dich daran, wie ich mir die Leiter geholt und sie an diesen Baum gelehnt habe?« Sie schaut zum Himmel und blickt in dicke, dunkle Äste und Blätter. »Und dann saß ich da oben fest und habe mich weder getraut weiterzuklettern noch runterzukommen. Du musstest mich holen.«
    »Ich weiß.« Seine Stimme klingt, als wäre bei ihm niemand zu Hause.
    »Und genauso fühle ich mich jetzt«, spricht Nic weiter, in dem Versuch, an den Teil von ihm zu appellieren, den er nach dem Mord an seiner Frau abgeschaltet hat. »Ich komme weder vor noch zurück und brauche deine Hilfe, Papa.«
    »Ich kann nichts für dich tun«, erwidert er.

36
    Die Silhouette von Stettin ist von Antennen durchsetzt; die Straßen der schäbigen Innenstadt sind ruhig.
    Die Geschäfte sehen alle nicht sehr einladend aus, insbesondere nicht um diese späte Stunde, und die wenigen Autos au f d en Straßen sind alt und mehr oder weniger schrottreif. Das Radisson ist ein Backsteinbau mit grau und rot gepflastertem Hof. Ein großes blaues Transparent vor dem Eingang kündigt einen zurzeit stattfindenden Kongress zum Thema »Methoden und Modelle der Automation und Robotertechnik« an, und das ist ein Glück.
    Je mehr Menschen im Hotel sind, desto besser. Außerdem hat Lucy früher selbst Roboter programmiert und kann nötigenfalls jederzeit ein technisches Fachgespräch führen. Doch in diese Verlegenheit wird sie gar nicht erst geraten. Sie hat einen Plan, und zwar einen, der in jeder Hinsicht ausgezeichnet ist. Ein paar Straßen entfernt von einem Fila-Laden, gleich neben einem delikatesy, findet sie eine Parklücke.
    Nachdem sie den Spiegel am Sonnenschutz heruntergeklappt hat, schminkt sie sich rasch und hängt sich goldene Kreolen an die Ohren. Dann reißt sie sich die Tennisschuhe von den Füßen und zieht schwarze Cowboystiefel aus Satin an, die leider nötig sind, falls sie jemandem im Hotel auffallen sollte. Anschließend zwängt sie sich in eine schwarze Bluse aus zerknittertem Leinen, versteckt den Totschläger im Ärmel und lässt genug Knöpfe offen, um Dekollete zu zeigen. Auf diese Weise in eine attraktive junge Frau verwandelt, wirkt Lucy ausreichend zerzaust und anziehend, um als typische Kongressteilnehmerin durchzugehen, die im Hotel wohnt und sich in irgendeinem Lokal einen netten Abend gemacht hat. Sie schlüpft in eine Windjacke und geht, ihre Stiefel verfluchend, raschen Schrittes im dämmrigen Schein der Straßenlaternen zum Hotel.
    In diesem Radisson herrscht »Selbstbedienung«, wie Lucy es zu bezeichnen pflegt, wenn sie im Hotel ihr Gepäck selbst tragen, sich mit einer Codekarte selbst Zutritt zum Fitnessraum verschaffen und selbst ihren Eiskübel nachfüllen muss, und wo die Zimmermädchen beim Vorfinden eines Trinkgeldes aus allen Wolken fallen. Um diese Uhrzeit ist weder ein
    Portier noch ein Page zu sehen, nur eine junge Frau, die an der Rezeption sitzt und eine polnische Zeitschrift liest. Lucy bleibt draußen im Dunkeln stehen, blickt sich um und vergewissert sich, dass sich nicht gerade jemand nähert, der sie bemerken könnte. In diesem unwahrscheinlichen Fall würde sie in ihrer kleinen Ledertasche wühlen und so tun, als suche sie ihren Zimmerschlüssel. Unruhig wartet sie zehn Minuten lang, bis die gelangweilte, müde Frau am Empfang aufsteht und davongeht, vermutlich zur Toilette oder um sich einen Kaffee zu holen. Lucy schlendert durch die Hotelhalle, schlüpft in einen Aufzug und drückt auf den Knopf für den fünften Stock.
    Rudy befindet sich in Zimmer

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