Die Dämonen ruhen nicht
Typen sind Sie eine ziemliche Heulsuse. Ihr Vater weint übrigens nicht.« Sie dreht sich zu Rudy um. »Hast du Marino je weinen sehen?«
»Nein.«
»Oder in die Hose scheißen?«
»Nein. Wusstest du, dass Rocco vorhatte, Marino während seines Angelausflugs eine Kugel in den Kopf zu jagen? Du weißt schon, wenn er wie jedes Jahr zum Buggs Lake fährt.«
Lucy erwidert nichts. Röte steigt ihr den Hals hinauf. Hoffentlich wird Marino niemals erfahren, dass sie und Rudy hier waren und ihm vermutlich das Leben gerettet haben. Rocco wird nie wieder auf jemanden schießen.
»Sie hätten Ihren Vater schon vor Jahren töten können. Warum ausgerechnet diesen August?«, fragt Lucy Rocco.
Sie weiß über Marinos alljährlichen Angelausflug Bescheid.
Rocco zuckt die Achseln. »Anweisungen.«
»Von wem?«
»Einem früheren Mandanten. Er hat noch eine Rechnung offen.«
»Jean-Baptiste«, stellt Lucy fest. »Also stecken Sie beide noch unter einer Decke. Wie rührend, denn er ist der Grund, warum Sie jetzt sterben werden.«
»Das glaube ich nicht!«, ruft Rocco aus. »Er würde niemals ... Er braucht mich.«
»Wofür?«, fragt Rudy.
»Um draußen alles für ihn zu regeln«, entgegnet Rocco. »Ich bin immer noch sein Anwalt. Er kann mir schicken, was er will, und sich jederzeit mit mir in Verbindung setzen.«
»Was schickt er Ihnen denn so ?«, hakt Rudy nach.
»Alles Mögliche. Er muss nur Anwaltspost daraufschreiben, und dann darf es niemand öffnen. Wenn er also jemandem, der offensichtlich kein Anwalt ist, einen Brief oder sonst irgendwelchen Mist zukommen lassen will, erledigt er das über mich.«
»In dem Brief, den ich von ihm gekriegt habe, hat er Sie verpfiffen, Rocco. Hat er den auch über Sie verschickt?«
»Nein. Ich habe von ihm nie ein Schreiben mit Ihrem Namen drauf bekommen. Aufmachen tue ich sie nie. Zu riskant. Wenn er je dahinter kommen würde ...« Er verstummt, seine Augen sind glasig. »Ich glaube nicht, dass er Ihnen etwas geschrieben hat.«
»Wir sind doch hier, oder nicht?«, gibt Rudy zurück. »Und wie wäre das möglich, wenn Chandonne uns keinen Brief geschrieben und uns alles erzählt hätte, was wir wissen müssen?«
Darauf hat Rocco keine Antwort.
»Welchen Grund hat er, Ihren Vater zu töten?« Lucy hat nicht vor, dieses Thema unter den Tisch fallen zu lassen. »Ausgerechnet jetzt. Welche Rechnung ist denn noch offen?«
»Vielleicht findet Jean-Baptiste ihn einfach unsympathisch. Man könnte es als Abschiedsgeschenk bezeichnen.« Kurz malt sich ein selbstzufriedener Ausdruck in Roccos Gesicht.
»Darf ich mir die kurz mal anschauen?« Lucy streckt die Hand nach Rudys Pistole aus.
Er nimmt das Magazin heraus und entfernt die Patrone aus der Kammer. Das Geschoss fällt aufs Bett. Lucy hebt es auf, und Rudy reicht ihr den Colt. Während sie auf Rocco zugeht , s chiebt sie mit dem Daumen die einzelne Patrone ins Magazin.
»Ihr Vater hat mir das Autofahren beigebracht«, sagt sie im Plauderton. »Kennen Sie seinen riesigen Pick-up? Tja, in diesem Ding habe ich es gelernt, als ich noch so klein war, dass ich selbst bei hochgestelltem Sitz noch ein Kissen brauchte.«
Sie zieht den Schieber zurück und zielt mit der Pistole zwischen Roccos Augen.
»Das Schießen hat er mir auch beigebracht.«
Sie drückt ab.
Klick.
Rocco zuckt heftig zusammen.
»Hoppla.« Lucy steckt das Magazin wieder in den Griff. »Ganz vergessen, dass sie nicht geladen ist. Aufstehen, Rocco.«
»Sie sind doch Cops?« Seine Stimme zittert ängstlich und verständnislos. »Cops legen niemanden um! So was tun die nicht!«
»Ich bin kein Cop«, meint Rudy zu Lucy. »Bist du vielleicht einer?«
»Nein, ich auch nicht. Ich sehe hier im Zimmer keinen einzigen Cop. Du etwa?«
»Dann sind Sie eben von einem Sonderkommando der CIA. Ich wette, Sie wurden in den Irak geschickt, um Saddam Hussein auszuschalten. Ich kenne Leute wie Sie.«
»Ich war noch nie im Irak, was ist mit dir?«, meint Lucy zu Rudy.
»In letzter Zeit nicht.«
38
Im Fernsehen läuft wieder ein Western.
Lippen bewegen sich mit Verzögerung, als zwei Cowboys, die Stimmen polnisch synchronisiert, von ihren Pferden steigen.»Die letzte Chance«, sagt Rudy zu Rocco. »Wo ist Jay Talley? Lügen Sie mich nicht an. Ich schwöre, dass ich das merke.«
»Er hat an der FBI-Akademie einen Kurs in Aussagenanalyse absolviert«, fügt Lucy hinzu. »Und zwar als Lehrgangsbester.«
Rocco schüttelt langsam den Kopf. Inzwischen ist klar, dass er mit der
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