Die Dämonen ruhen nicht
Sprache herausrücken würde, wenn er etwas wüsste. Er ist ein verschlagener, kriecherischer Feigling und hat im Moment mehr Angst vor den beiden als vor Jay Talley.
»Der Deal lautet folgendermaßen: Wir werden Sie nicht töten, Rocco.« Lucy wirft Rudy wieder die Pistole zu. »Stattdessen begehen Sie Selbstmord.«
»Nein.« Er wackelt mit dem Kopf, als hätte er die Parkinson-Krankheit.
»Sie sind Schnee von gestern, Rocco«, spricht Rudy weiter. »Polizeilich gesucht. Eine rote Meldung. Es gibt keinen Ausweg für Sie; Sie werden auf jeden Fall verhaftet. Wenn Sie Glück haben, landen Sie im Gefängnis, vermutlich auf Sizilien, und ich habe gehört, dass das dort kein Ferienparadies ist. Aber Sie wissen es besser. Die Chandonnes werden Sie erledigen. Und zwar sofort. Möglicherweise werden Sie nicht so gnädig mit Ihnen sein, als wenn Sie Ihr mieses kleines Leben jetzt auf der Stelle beenden.«
Lucy geht zum Bett und kramt einen Umschlag aus dem hinteren Abteil ihrer Umhängetasche. Darin befindet sich ein Stück Papier, das sie entfaltet.
»Hier.« Sie hält es Rocco hin.
Er macht keine Anstalten, es entgegenzunehmen.
»Los. Das ist eine Kopie Ihrer roten Meldung. Frisch aus dem Drucker. Bestimmt sind Sie neugierig.«
Rocco reagiert nicht. Selbst seine Augäpfel scheinen zu zittern.
»Nehmen Sie es«, befiehlt Lucy.
Rocco gehorcht. Die rote Meldung bebt heftig in seiner Hand, während er seine Fingerabdrücke auf dem Papier hinterlässt, eine Kleinigkeit, an die er in diesem Moment vermutlich gar nicht denkt.
»Und jetzt lesen Sie laut vor. Ich finde es sehr wichtig, dass Sie wissen, was drinsteht. Denn danach werden Sie sicher zu dem Schluss kommen, dass Ihnen gar nichts anderes übrig bleibt, als sich in diesem reizenden Hotelzimmer umzubringen«, sagt Lucy.
Das Blatt Papier trägt in der oberen rechten Ecke das Emblem von Interpol, natürlich in kräftigem Rot. Darunter ist klar und deutlich ein Foto von Rocco zu erkennen, das nicht schwer aufzutreiben war. Selbstgefällig, wie er ist, hat er die Kameras nie gescheut, wenn er in Skandalprozessen Verbrecher verteidigte. Deshalb ist das Foto auf dem Fahndungsaufruf auch neueren Datums und sieht ihm sehr ähnlich.
»Laut vorlesen«, weist Lucy ihn wieder an. »Märchenstunde, Rocco.«
»Persönliche Daten.« Seine Stimme zittert, und er räuspert sich immer wieder. »Derzeitiger Name: Rocco Caggiano. Geburtsname: Peter Rocco Marino junior.«
Bei diesen Worten hält er inne, und Tränen treten ihm in die Augen. Er beißt sich auf die Unterlippe und liest dann weiter seine Lebensgeschichte. Als er bei den strafrechtlich relevanten Fakten angelangt ist und verkündet, dass er wegen Mordes an einem sizilianischen und einem französischen Journalisten gesucht wird, verdreht er die Augen zur Decke.
»Du meine Güte«, murmelt er.
»Ganz richtig«, entgegnet Lucy. »Haftbefehl Nummer sie- ben-zwei-sechs-null für den bedauernswerten Signor Guarino. Haftbefehl Nummer sieben-zwei-sechs-eins für den armen Monsieur La Fleur. Ausgestellt am 24. April 2003. Vor zwei Tagen.«
»Verfluchte Scheiße!«»Das war Ihr treuer Mandant Jean-Baptiste«, erinnert ihn Lucy.
»Dieser Scheißkerl«, flüstert Rocco. »Nach allem, was ich für dieses üble Stück Dreck getan habe.«
»Es ist vorbei«, sagt Rudy.
Rocco lässt die rote Meldung auf den Tisch fallen.
»Soweit mir bekannt ist, können die Chandonnes recht kreativ sein«, fährt Lucy fort. »Folter. Wissen Sie noch, welchen Spaß Jay Talley daran hatte, andere Leute an Seilen und Ösen aufzuhängen und sie mit Heißluftföhns zu traktieren? So lange, bis ihre Haut schwarz verkohlt war? Dabei waren die Opfer die ganze Zeit am Leben und bei vollem Bewusstsein. Haben Sie vergessen, wie er das auch bei meiner Tante versucht hat, während seine gottverdammte Komplizin Bev Kiffin mich mit einer Flinte wegpusten wollte?«
Rocco starrt ins Leere.
Lucy tritt einen Schritt näher, und der Gedanke daran, welchem Schicksal ihre Tante so knapp entronnen ist, lässt sie beinahe zum Totschläger greifen, um Rocco den Rest zu geben. Nach einem Blick auf die Schlagwaffe, die auf dem Nachtschränkchen liegt, bleibt sie vernünftig.
»Das Ertränken ist auch eine beliebte Methode«, spricht sie weiter.
Rocco zuckt bei diesen Worten zusammen. »Nein«, fleht er.
»Erinnern Sie sich an Jean-Baptistes Cousin Thomas? Ertränkt. Kein sehr hübscher Tod.« Sie wirft Rudy einen Blick zu. Dieser wischt als zusätzliche
Weitere Kostenlose Bücher