Die Dämonen ruhen nicht
einsam. Außerdem lebt er getrennt von seiner Frau, die ein Miststück ist.
Die Empfangsdame kommt in die Hotelhalle gehastet, kurz darauf folgt ein Wachmann, der den Betrunkenen auf Englisch anspricht.
»Vielleicht sollten Sie jetzt besser auf Ihr Zimmer gehen. Es ist schon spät. Schlafen Sie ein bisschen«, sagt der Wachmann mit verkniffener Miene und bedenkt Lucy mit einem angewiderten und argwöhnischen Blick. Offenbar nimmt er an, dass sie die Freundin dieses vulgären Menschen ist. Oder womöglich eine Prostituierte und bestimmt ebenfalls betrunken.
Lucy versucht, den Aufzugknopf zu drücken, verfehlt ihn einige Male und klammert sich schwankend an den Arm des Zechbruders.
»Komm, Baby, gehen wir«, lallt sie mit russischem Akzent und lehnt sich an ihn.
»Na, wenn das nicht ...« Er will seiner Begeisterung schon überrascht Ausdruck verleihen, als sie sich auf die Zehenspitzen stellt und ihn fest auf den Mund küsst.
Die Aufzugtür öffnet sich, sie zieht ihn hinein, presst sich an ihn und setzt den langen Zungenkuss fort, der nach Knoblauch und Whiskey schmeckt. Der Wachmann starrt sie streng an, während sich die Türen schließen.
Fehler.
Der Wachmann wird sich an ihr Gesicht erinnern. Lucys Gesicht vergisst man nicht so leicht, und er hatte genug Zeit, es eingehend zu betrachten, weil das betrunkene Arschloch Lucy aufgehalten hat.
Großer Fehler.
Sie drückt auf den Knopf mit der Zwei, während der Mann sie betatscht. Offenbar bemerkt er nicht, dass der Aufzug in der falschen Etage stoppt. Doch plötzlich rennt seine neue Geliebte, ihre Kleider zusammenhaltend, los. Er versucht fluchend, ihr mit wild rudernden Armen nachzulaufen, bleibt mit der Schuhspitze am Teppich hängen und stolpert.
Lucy folgt Schildern mit der Aufschrift »Ausgang«, biegt in den nächsten Flur ein und stößt auf ein Treppenhaus. Leise pirscht sie sich drei Stockwerke hinauf und wartet mit angehaltenem Atem auf dem dämmrigen Treppenabsatz. Während sie lauscht, läuft ihr der Schweiß übers Gesicht und durchweicht ihre aufreizende schwarze Bluse. Wahrscheinlich eher aus Gewohnheit als aus Voraussicht hat sie den Hotelschlüssel aus Plastik vom Tisch in Caggianos Zimmer genommen und ihn in eine Tasche ihrer Windjacke gesteckt. Wenn sie ein Hotel verlässt, behält sie immer einen Schlüssel, falls es sich um ein Einweg-Modell handelt, für den Fall, dass sie etwas vergessen hat. Einmal, und daran erinnert sie sich nur ungern, hat sie ihre Pistole in der Nachttischschublade liegen gelassen und es erst beim Einsteigen ins Taxi bemerkt. Gott sei Dank, dass sie noch ihren Schlüssel hatte.
Das »Bitte-nicht-stören«-Schild baumelt immer noch bedrohlich am Türknauf von 511. Lucy lässt den Blick über den Flur schweifen und hofft verzweifelt, dass sie nicht wieder von jemandem überrascht wird. Als sie sich der Tür nähert, hört sie drinnen in Roccos Zimmer den Fernseher laufen und bekommt ein flaues Gefühl im Magen. Angst steigt in ihr auf und erinnert sie daran, dass sie und Rudy gerade etwas Schreckliches getan haben und dass sie sich ihrer Sünde jetzt noch einmal stellen muss.
Ein grünes Lämpchen flackert, und sie schiebt die Tür mit dem Ellenbogen auf. Sie hat keine frischen Handschuhe dabei, weil sie einfach losgestürmt ist. Der üble Geruch von Roccos letzter fettiger Mahlzeit schlägt ihr entgegen und überdeckt den Gestank nach alkoholdurchsetztem Blut, das wie Pudding unter seinem Kopf gerinnt. Seine Augen sind halb offen und milchig. Der Stuhl liegt am Boden, die Pistole klemmt unter seiner Brust; alles ist genau so, wie Rudy und sie es zurückgelassen haben. Schmeißfliegen umschwirren die Leiche, auf der Suche nach dem besten Stück Mensch, um dort ihre Eier abzulegen. Gebannt starrt Lucy auf die wild gewordenen Insekten.
Dann fällt ihr Blick auf den Totschläger. Auch er liegt noch genauso da wie vorhin, nämlich auf dem Tisch links vom Bett.
»Gott sei Dank«, flüstert sie.
Der Totschläger ist wieder wohlbehalten in ihrem Ärmel verstaut, als sie vorsichtig die Tür öffnet und den Knauf mit ihrer Bluse abwischt. Diesmal benutzt sie für den ganzen Weg nach unten zum Servicebereich die Treppe; dort hört sie Stimmengewirr, vermutlich aus der Küche. An den Wänden stehen Wagen mit schmutzigem Geschirr, verwelkten Blumen in kleinen Väschen, leeren Weinflaschen und Resten von Cocktails und anderen Getränken. Das Essen ist auf dem Hotelporzellan angetrocknet und befleckt weiße Tücher und
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